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Flüchtlinge
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Kolumbien
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Lebendige Kirche
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Vorurteile abbauen, Freundschaften knüpfen

Anders als rechte Parolen vermuten lassen, arbeitet die Flüchtlingshilfe weiter an der Integration

Tischgesellschaft Nachricht (c) Garnet Manecke
Tischgesellschaft Nachricht
Datum:
Di. 11. Okt. 2016
Von:
Garnet Manecke
Die lautstarken Pöbeleien am Rande der Feiern zur Wiedervereinigung in Dresden und die Nazi-Demo vergangenes Wochenende in Dortmund beherrschten die Nachrichten.
Tischgesellschaft Fotoprojekt Quadrat (c) Garnet Manecke
Tischgesellschaft Fotoprojekt Quadrat

 Dem steht das Engagement für Flüchtlinge gegenüber, das in den Regionen Heinsberg und Mönchengladbach nach wie vor hoch ist. Die Helfer und Flüchtlingspaten sind wesentlich leiser, wenn sie Menschen zusammenbringen. Dafür tragen ihre Aktivitäten dazu bei, dass Menschen sich verstehen und in Deutschland überall blühende Landschaften entstehen. 

Als Peter Miller vor einem Jahr sein Fahrrad über den Rheydter Marktplatz schob, begegnete ihm Mohammed. Die beiden kamen ins Gespräch, Mohammed erzählte Miller, dass in den Räumen des SKM (Katholischer Verein für soziale Dienste) regelmäßig das Café Welcome stattfindet. Hier können Flüchtlinge und Einheimische zusammenkommen, miteinander klönen, sich kennenlernen, Vorurteile abbauen, aktiv bei Problemen helfen oder einfach nur zuhören. Miller ging hin und lernte die Menschen kennen. Und natürlich kam Miller auch auf den Rheydter Marktplatz, als die Tischgesellschaft vergangenen Sonntag zum Kaffeeklatsch unter freiem Himmel einlud. Miller kam mit seinem Freund Mohammed.

Jetzt sitzen sie hier, wie rund 200 andere Frauen, Männer und Kinder, vor sich ein Stück Streuselkuchen, und quatschen über Gott und die Welt. Was denkt Miller, wenn er die Bilder der Pöbler aus Dresden sieht? Nun, was solle er dazu sagen, fragt er zurück. Verstehen kann er den Hass nicht. Er selbst ist vor vier Jahren aus den USA nach Mönchengladbach gekommen. Seine Großeltern waren Deutsche, die nach Amerika ausgewandert sind, er selbst hat in den Staaten für eine deutsche Firma gearbeitet und war deshalb oft in Deutschland. Miller findet es unverständlich, dass sich Menschen abschotten statt die anderen kennenzulernen. „Ich helfe gerne und finde es blöd, zuhause vor dem Fernseher zu sitzen“, sagt er. Die Freundschaft mit Mohammed sei eine Bereicherung.

Einzig, dass er die Sprache seines Freundes nicht spreche, störe ihn, Miller, ein wenig. „Wir könnten dann noch besser miteinander kommunizieren. Aber mit Englisch kommen wir schon gut zurecht“, sagt der Rentner. Hier auf dem Marktplatz sieht man, dass unterschiedliche Sprachen kein unüberwindbares Hindernis sein müssen. Die Kinder spielen am Spielmobil, laufen auf Stelzen, kicken die Fußbälle oder rennen durch die Tischreihen, um sich gegenseitig zu fangen. Die Flüchtlinge sollen hier eine neue Heimat finden, die Einheimischen haben hier die Gelegeneheit, ihre neuen Nachbarn kennenzulernen und auch Vorbehalte und Vorurteile zur Sprache zu bringen und abzubauen. Besonders jetzt, wo die Flüchtlinge in den Schlagzeilen nur noch dann Thema sind, wenn es um die Vorbereitung von terroristischen Anschlägen und deren Vereitelung geht.

 

Mit Einwegkameras haben Flüchtlingeihre Umgebung erkundet und fotografiert

Aber Integration ist keine Einbahnstraße, weiß Bashir Amani. Er selbst ist vor 20 Jahren aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. Seit 15 Jahren ist er selbstständiger Unternehmer. Amani engagiert sich als Flüchtlingspate beim SKM. Ein wichtiger Faktor, um im fremden Land heimisch zu werden, ist, die Umgebung kennenzulernen. Das Team des Projekts „Die Tischgesellschaft“ hat Flüchtlingen Einwegkameras gegeben, mit denen sie ihre Umgebung fotografieren sollten. Wie sehen sie ihre neue Heimat, was fällt ihnen auf, wo und wie leben sie? Die Fotos sind auf einer großen Stadtkarte zu sehen. Auffallend: Kaum einer hat wirklich ein persönliches Foto gemacht. Überhaupt zeigen viele der Bilder Gebäude, Häuserzeilen, Plätze oder Gegenstände. Nur einmal ist dokumentiert, wie eine Gruppe zusammen an etwas arbeitet.

 

Menschen sind in großer Not,weil die Gesetze verschärft wurden

Die Verlorenheit, die aus einigen dieser Fotodokumente spricht, spüren auch Mona El-Yassir, Maria Jackschitz und Anna Papoulis vom SKM bei ihrer Arbeit mit Flüchtlingen. Zwar seien Flucht und die damit verbundene Not nicht mehr medial so präsent, aber die Verzweiflung und die Ängste seien nach wie vor Alltag für die Menschen, sagt El-Yassir. „Die Probleme der Flüchtlinge haben sich verschärft“, betont sie. „Weil sich die Gesetze verschärft haben. Viele Menschen sind in großer Not, weil sie jetzt doch zurückgehen müssen.“ Das betreffe vor allem Menschen aus Afghanistan, das als sicheres Herkunftsland eingestuft wurde. „Das bedeutet, sie müssen zurück in den Krieg“, sagt Jackschitz. „Diese Ungewissheit über ihre Zukunft macht die Menschen psychisch fertig.“

Zu den existenziellen Ängsten um das Leben kommen die Vorbehalte und die Hasstiraden, die sich in Demonstrationen und Kommentaren in sozialen Netzwerken offenbaren. „Da hört man viel über alleinstehende Männer, die hier sind“, sagt Jackschitz. „Aber man sollte sich mal fragen, warum diese Männer aus Syrien, dem Iran oder Irak alleinstehend sind. Viele ihrer Frauen und Töchter wurden von den IS-Kämpfern getötet oder verschleppt.“ Auch dass der Familiennachzug praktisch unmöglich geworden ist, trägt dazu bei. Das gilt auch dann, wenn die Männer den Status eines nach Genfer Konvention anerkannten Flüchtlings haben und damit den gesetzlichen Anspruch auf den Nachzug der Familie. „Bis in einer deutschen Botschaft ein Termin vergeben wird, vergehen mehrere Monate“, sagt Jackschitz. In der Tat weisen die deutschen Botschaften allein nur für den Termin zur Antragstellung eine Wartezeit von mindestens sechs Monaten aus.

Die Betroffenen in Deutschland in dieser schwierigen Zeit der Unsicherheit zu stützen, ist eine der vornehmlichsten Aufgaben der vielen Sozialpädagogen und ehrenamtlichen Helfer in den verschiedenen Initiativen der Regionen .Das gilt auch für die Kaffeetafel auf dem Rheydter Marktplatz. Wobei Bashir Amani noch einen anderen Aspekt aufzeigt: „Wir zeigen, dass die Ereignisse in Dresden und Chemnitz die Taten einer kleinen Gruppe oder einer Einzelperson sind“, sagt er. „Die meisten Menschen in Deutschland sind keine Rassisten oder gegen Flüchtlinge, sondern helfen ihnen auf verschiedene Weise.“ So wie Peter Miller, der noch am Vorabend in trauter Runde mit den Kindern seiner Freunde beim SKM saß und „Mensch ärger Dich nicht“ gespielt hat. Es wurde viel gelacht, so wie heute auch. 

Tischgesellschaft Quadrat (c) Garnet Manecke