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Lebendige Kirche
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Für eine Hilfe, die nicht entmündigt

Flüchtlinge brauchen Raum für Selbstorganisation und Selbsthilfe

Selbstermächtigung (c) Thomas Hohenschue
Selbstermächtigung
Datum:
Di. 12. Apr. 2016
Von:
Thomas Hohenschue
„Ich bin kein Besucher – ich bin ein Bürger!“ Das ist ein selbstbewusster Satz, den Mufti aus Amsterdam jedem sagt, der diesen Satz braucht. Nämlich jedem, der ihm abspricht, sich öffentlich zu äußern, sich öffentlich zu bewegen, überhaupt da zu sein.
Für eine Hilfe, die nicht entmündigt (c) Thomas Hohenschue
Für eine Hilfe, die nicht entmündigt

Gleich ob das ein Passant ist, ein Polizist oder ein Bürgermeister. Mufti stammt aus Ghana, lebt aber seit 16 Jahren in den Niederlanden. Mufti gehört einer Gruppe von rund 200 Flüchtlingen an, deren Asylantrag abgelehnt wurde, die aber auch nicht ohne Weiteres abgeschoben werden können. Sie haben sich organisiert und ziehen, unterstützt von etwa 300 Frauen und Männern, aufgeteilt in drei kleine Gruppen, von besetztem Haus zu besetztem Haus, um trotz Mittellosigkeit ein Dach über dem Kopf zu haben. Um ihre Initiative herum entfalten sich kulturelle und soziale Aktivitäten, und sie zeigen öffentlich Präsenz. Der Name der Gruppe ist Programm. Männer wie Mufti zeigen: „We are here“ – wir sind hier, mitten unter euch.

Mit großem Charme präsentiert er, wie zum Beispiel kürzlich an der Katholischen Hochschule in Aachen, sein Konzept. Dass er keinen offiziellen Status hat, kein Papier, das ihn zum vollberechtigten Bürger der Niederlande erklärt, beraubt ihn nicht seiner universellen Menschenrechte. Dass er keine Arbeit aufnehmen darf, dass die Behörden ihm ständig auf die Pelle rücken, dass er nur in Obdachlosenheimen offiziell leben darf – geschenkt.

Der Druck ist hoch, er muss mit seinen Mitstreitern immer in Bewegung bleiben. Aber verstecken tut er sich nicht. Er geht in öffentliche Versammlungen, er demonstriert auf der Straße, bloggt fleißig, spricht mit der Presse, um Verbesserungen für Flüchtlinge zu erreichen, den Blick der Mehrheitsgesellschaft auf die Belange der neuen Mitbürger zu lenken. Oft genug, in spontanen Begegnungen, löst er großes Erstaunen aus. Mufti geht als ganz normaler Niederländer mit Migrationshintergrund durch. Er spricht fließend, ohne erkennbaren Akzent, die Landessprache, eloquent, schlagfertig, selbstbewusst. Und wenn er sich wieder einmal erklären muss, bricht er auf diese Weise die Barriere, holt manchen Gesprächspartner auf den Boden zurück.

 

Flüchtlinge haben weniger Rechte bei uns als Gefängnisinsassen

Was Mufti und seine Mitstreiter und Unterstützer machen, ist nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind nicht identisch. Was wir aber gleichwohl von der Gruppe aus Amsterdam lernen können, ist etwas anderes: nämlich, dass sich Flüchtlinge selbst organisieren. Dass sie bestärkt werden, ihre Belange in die eigene Hand zu nehmen, sich öffentlich für ihre Interessen einzusetzen. Dass sie sich ihre universellen Menschenrechte zurückerobern und als Gruppe in der demokratischen Gesellschaft sichtbar werden. 

Das braucht es hier dringend. „Bei uns haben Flüchtlinge weniger Rechte als Gefängnisinsassen“, sagt Manfred Körber vom Bischöflichen Generalvikariat Aachen. „Die Menschen erfahren eine fürsorgliche Entmündigung. Sie warten darauf, dass sich jemand um sie kümmert.“ Allenfalls dürften sie bei der Essensausgabe helfen und beim Aufbau von Betten in einer Sammelunterkunft. Das bedeute in der Konsequenz: Während sich ihre Gegner organisierten, könnten Flüchtlinge bei uns nur hoffen, dass das jemand für sie tut. Bei allem großartigen Einsatz vieler ehrenamtlicher und professioneller Helfer sei das zuwenig, kritisiert Körber mit Blick auf das, was gelingende Integration benötigt: „Diese Menschen gehen verloren, bevor sie sich auf den Weg gemacht haben.“

 

Gute Empfehlungen sind das eine, praktische Erfahrungen das andere

Damit Mufti und sein völlig in Orange gekleideter Freund Ernest von der Elfenbeinküste in Aachen 160 Gästen in der Katholischen Hochschule von ihren Erfahrungen berichten können, haben sie einiges riskiert, sind ohne Papiere über die Grenze gereist. Nur ein weiteres Beispiel für das, was ihnen gelingt: sich wieder als vollwertige Menschen zu empfinden und als solche sich einzubringen in die Bürgergesellschaft, in die sie geflüchtet sind.

Still und leise sitzen zwei junge Syrer im Publikum, verfolgen sehr genau, was die beiden markanten Männer vorne erzählen. Das Thema geht ihnen sehr nah. Später, in einer kleinen Gesprächsgruppe, entsteht ein direkter Dialog. Mufti fragt, was die beiden für die deutsche Gesellschaft tun. Sie gehörten nun dazu und sie sollten sich einbringen, ist seine Botschaft. Nur zu deutlich wird dann, wie schwer das den beiden fällt, denn trotz aller engagierten Hilfe Dritter fühlen sie sich da recht alleingelassen und überfordert.

Dies öffnet den Blick für das, was zu tun ist. Sicherlich ist der Hinweis auf eine professionelle Anleitung nützlich, wie sie die Vereinten Nationen in einem lesens- und beachtenswerten Katalog von Standards für Flüchtlingshelfer formulieren. Die Bochumer Friedensforscherinnen Katharina Behmer und Charlotte Lülf sehen diesen Katalog als gute Grundlage, um auch bei uns in Deutschland dem Leitbild würdiger, nicht entmündigender Hilfe Kraft und Geltung zu verschaffen. Aber damit es wirklich vorangeht mit der großen Zukunftsaufgabe, die Flüchtlinge dauerhaft in unsere Gesellschaft zu integrieren, gilt es, das Selbstbewusstsein und die Selbsthilfe der neuen Mitbürger zu stärken. Das findet sich auch in den Empfehlungen der Vereinten Nationen.

Aber vor allem ist jetzt angesagt, voneinander praktisch zu lernen. Es gibt gute Projekte, Begegnungen zu fördern, Gespräche auf Augenhöhe, den Austausch der Kulturen und Religionen. Unterschiede und Gemeinsamkeiten sprachfähig zu machen. Gemeinsames Kochen, Filmprojekte, Ausstellungen. Da mischen meist immer noch Helfer mit. Ganz ohne geht es vielleicht auch nicht. Aber für sie heißt es: Sich zurückzunehmen, heißt, Ideen, Tatkraft und Selbstwertgefühl der Flüchtlinge Raum zu geben.