Braunkohle
Braunkohle
Flüchtlinge
Flüchtlinge
Kolumbien
Kolumbien
Lebendige Kirche
Lebendige Kirche

Dem Nächsten beistehen

Warum die Kirche sich als Glaubensgemeinschaft gerade heute ihrer sozialen Verantwortung stellen sollte

Datum:
Di. 13. Nov. 2018
Wie begegnet die Kirche den Menschen in der heutigen Gesellschaft? Eine Frage, die alles andere als banal ist. Ungelöste Glaubwürdigkeitsprobleme wie ein Klerikalismus, der vielfältige Probleme verursacht, sind das eine.
Dem Nächsten beistehen (c) Thomas Hohenschue
Dem Nächsten beistehen

Das andere ist die Ausrichtung der Glaubensgemeinschaft in ihrem Verhältnis zur Welt. Dreh- und Angelpunkt: die Frage der sozialen Verantwortung. Mehr im Interview mit der Theologin Anna Kohlwey vom Caritasverband für das Bistum Aachen.

 

Täuscht der Eindruck oder ist das Wort von der sozialen Verantwortung im Moment in aller Munde?

Ja, er ist ein Modebegriff, den vor allem auch Unternehmen stark machen. Denn sie werden öffentlich stark angefragt, was die sozialen, ökonomischen und ökologischen Folgen ihres Handelns betrifft. Die Gesellschaft erwartet von ihnen, dass sie Verantwortung übernehmen. Dem stellen sich sehr viele Unternehmen, wenn auch auf verschiedene Weise. Die einen packen tatsächlich die Probleme an. Die anderen werfen Nebelkerzen und ihre Marketingmaschine täuscht vor, dass sie etwas tun. Abgesehen von symbolischen Aktionen und Lippenbekenntnissen geschieht aber bei diesen Unternehmen nichts, und die Missstände dauern an.

 

Wie bewerten Sie diesen Trend? Und wo steht die Kirche in dem Ganzen?

Ich bewerte die Bewegung, sich seiner sozialen Verantwortung zu stellen, zunächst einmal sehr positiv. Werte werden wichtiger in der gesellschaftlichen Debatte und der Mensch steht im Mittelpunkt, verbunden mit seiner Rolle in Wirtschaft, Gesellschaft und Natur. Das ist genau genommen eine zutiefst christliche Sichtweise. Wir Christen verstehen den Menschen als Ebenbild Gottes, ausgestattet mit einer unverletzlichen Würde. Daraus leiten sich in meinen Augen ganz zwingend ein Auftrag und eine Selbstverpflichtung ab, denen sich die Kirche stellen muss jenseits wohlfeiler Sonntagspredigten.

 

Das Gebot der Nächstenliebe ist doch ein Kern der christlichen Verkündigung. Was braucht es außerdem?

Ja, vom moralischen Anspruch her ist die Kirche richtig unterwegs. Aber es geht um mehr, nämlich um konkrete soziale Verantwortung. Und da scheint mir, dass Kirche sogar von Konzernen lernen kann. Denn das, was Kirche als moralische Instanz tut, muss sie vorbildlich machen. Das heißt, sie muss auch im Hintergrund gut arbeiten, sie muss gut verwalten, gut wirtschaften und gute Personalpolitik betreiben. Sie muss professionell sein und zugleich ihre Werte authentisch leben – und zwar in jedem Bereich. Sonst riskiert sie jede verbliebene Glaubwürdigkeit.

 

Wie muss kirchliches Handeln sein, damit es authentisch und glaubwürdig ist?

Kirche ist für mehr Menschen als nur ihre Mitglieder da. Kirche ist zuallererst für die Notleidenden in unserer Gesellschaft da. Das ist der Auftrag, der sich aus dem Vorbild Jesu ableitet. Er geht zu dem Zöllner Zacharias, er geht zu den Dirnen. Er geht zu denen, die ausgegrenzt sind, zu denen, die arm sind. Und er ist dabei sperrig gegenüber den Herrschenden, gegenüber den Römern, gegenüber den Pharisäern. Das Zeugnis für den Nächsten, gerade für den bedrängten, und die entschiedene Zuwendung und Anwaltschaft zu diesem Menschen prägen Jesu Handeln.

 

Wenn Kirche diesen Teil der Christusnachfolge anstrebt, was bedeutet das für sie?

Sie kann sich nicht nur dem einzelnen zuwenden, sonst blendet sie einen Teil ihrer sozialen Verantwortung aus. Sie sollte sich auch als kritisches Korrektiv verstehen gegenüber der Politik, der Wirtschaft, der Rechtsprechung. Ihre Stimme ist weiter gefragt, sie kann und muss dabei den Blick auf diejenigen in die Debatte einbringen, die ansonsten hinten runter fallen. Es gibt Nöte, die nur politisch gelöst werden können – wie bei Hartz IV, beim Wohnungsmarkt, bei den Renten.

 

Es gibt die Gegenstimmen, die sagen, die Kirche solle sich heraushalten und sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren.

Die Nächstenliebe ist das Kerngeschäft der Kirche, mit der Gottesliebe engstens verknüpft. Wir sind das pilgernde Volk Gottes, mit allen Menschen unterwegs, genauso suchend und fehlbar. Vorsicht auf diesem Weg bringt uns dennoch nicht weiter. Wer sich neutral verhält, wo der Mensch in seiner Würde verletzt wird, verliert seine Glaubwürdigkeit. Jesu Vorbild fordert uns ab, unbequem zu sein.

 

Jetzt sind Kirche wir alle. Wie betrifft uns Christen das, was Sie sagen?

Das Wort von der sozialen Verantwortung ist Fluch und Segen zugleich, es ist erst mal sehr groß. Aber es ist eigentlich ganz einfach: Wir alle haben den Auftrag, die Nächstenliebe im Alltag zu praktizieren, ganz bewusst und aktiv. So können wir alle etwas dazu beitragen, dass die Menschen in unserem Umfeld und in der einen Welt besser leben können.

 

Das Gespräch führte Thomas Hohenschue.