Öl ins rechte Feuer gegossen:Nicht an falscher Stelle in falscher Gesellschaft das Wort von der Menschenwürde erheben

„Die Würde des Menschen ist unantastbar!“: So lautet der Artikel 1 des Grundgesetzes. Ihn zitiert Bischof Dr. Helmut Dieser am 10. Juli 2025 und wirft seine episkopale Stimme in die Abstimmungsdebatte im Deutschen Bundestag zur möglichen Wahl der Staatsrechtlerin Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf für den 2. Senat des Bundesverfassungsgerichtes. Er appelliert an das „freie Gewissen aller Abgeordneten des Deutschen Bundestages“ mit dem Ziel, die Wahl zur Richterin zu verhindern.
Ein solcher Appell ist grundsätzlich zu jeder Debatte im Parlament richtig, legitim und verfassungskonform. Hier aber bekommt er einen falschen Zungenschlag. Im Konzert mit ähnlich lautenden massiven Mail- und Medienkampagnen rechtsradikaler und christlich fundamentalistischer Kräfte, die gesellschaftliche Fortschritte zurückdrehen wollen, ist die wohlfeile Erinnerung an Art. 1 GG brandgefährlich. In welche Gesellschaft begibt sich der Aachener Bischof mit seiner Wortmeldung - und mit ihm einige konservativ-ideologische Bischofskollegen sowie bedauerlicherweise auch die Präsidentin des Zentralkomitees deutscher Katholiken?
Hier wurde und wird in einseitiger, populistischer und faktennegierender Weise versucht, eine qualifizierte Kandidatin für den Richterposten und ausgewiesene Demokratin politisch auszuschalten. Sicherlich kann man in der ein oder anderen Frage unterschiedliche Positionen haben, aber in diesem Fall geht es in erster Linie darum, eine Richterin am höchsten deutschen Gericht zu verhindern, die einem AfD-Verbotsantrag offen gegenübersteht. In diesem Fahrwasser befinden sich die, bei denen eine religiöse Überzeugung Triebfeder ihrer Äußerungen gewesen sein mag.
Als Diözesanrat der Katholik*innen im Bistum Aachen distanzieren wir uns ausdrücklich von der Diffamierung von Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf als eine Person, vor der man die Menschenwürde schützen müsse, und der damit untrennbar verbundenen Positionierung unserer katholischen Kirche an der Seite der Rechtspopulisten.
Klarstellen möchten wir an dieser Stelle in aller Deutlichkeit, dass wir uns grundsätzlich sehr wünschen, dass unser Bischof und unsere Kirche sich in unserer pluralistischen Gesellschaft mit klaren Positionierungen zu Wort melden, wenn die Würde des Menschen in Gefahr ist. Dazu hat es in der jüngsten Vergangenheit mehrere Situationen gegeben, auch vor der eigenen Haustür unseres Bistums. Betroffene von sexualisierter Gewalt hätten sich vor einem Jahr sehr gewünscht, dass sich unser Bischof den Artikel 1 des Grundgesetzes zu Herzen genommen hätte, als es um die Einrede der Verjährung ging bei Taten, die zutiefst Menschenwürde verletzten, bis zum heutigen Tag.
Darüber hinaus gab es in den letzten Monaten viele Entscheidungen im politischen Berlin, bei denen es dringlich gewesen wäre, dass die katholische Kirche sowohl an Art. 1 GG als auch an das christliche Verständnis von Nächstenliebe und Solidarität in der politischen Debatte und Entscheidungsfindung appelliert hätte. Genannt seien hier nur exemplarisch das diskriminierende sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz, die Einstellung der finanziellen Unterstützung ziviler Seenotrettung und der Familiennachzug Geflüchteter mit subsidiärem Schutz. Da haben wir wenig gehört.
Unsere Demokratie gerät zurzeit in Gefahr durch Abgeordnete, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes und stattdessen für eine Spaltung unserer Gesellschaft stehen. In dieser Situation erwarten wir, dass Bischöfe nicht mit aus der Sachdebatte gerissenen Wortmeldungen Öl ins rechte Feuer gießen, indem sie ideologische Positionierungen rechtsradikaler und fundamentalistischer Scharfmacher stärken.