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Es gilt, ihn zu überwinden. Er ist eine systemische Ursache für sexualisierte Gewalt. Eine Online-Tagung näherte sich dem komplexen Thema:Wie tief reicht der Klerikalismus in der Kirche?

Die Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt im Raum der Kirche nimmt seit der Veröffentlichung der MHG-Studie Fahrt auf. Die Auswertung der Wissenschaftler hatte Themen auf die Tagesordnung gehoben, die derzeit im Synodalen Weg als systemische Ursachen für Missbrauch erörtert werden. Ziel ist, hier substanzielle Fortschritte zu erzielen.

Priester
Datum:
30. März 2021
Von:
Diözesanrat | Thomas Hohenschue

Es gilt, ihn zu überwinden. Er ist eine systemische Ursache für sexualisierte Gewalt. Eine Online-Tagung näherte sich dem komplexen Thema

Die Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt im Raum der Kirche nimmt seit der Veröffentlichung der MHG-Studie Fahrt auf. Die Auswertung der Wissenschaftler hatte Themen auf die Tagesordnung gehoben, die derzeit im Synodalen Weg als systemische Ursachen für Missbrauch erörtert werden. Ziel ist, hier substanzielle Fortschritte zu erzielen.

Zu diesen Themen gehört der Klerikalismus. Was umfasst dieser schillernde Begriff und wo sind die Ansatzpunkte, ihn zu überwinden? „Klerikalismus ist ein soziales, ein kulturelles Phänomen“, wirbt Lucia Traut vom Katholischen Forum Mönchengladbach-Heinsberg für einen geweiteten Blick. Ist er, wie manche Beobachter sagen, im genetischen Code der Kirche enthalten? Wo steckt er drin, ohne dass wir es wissen, und steckt er nicht eigentlich bei den meisten Gläubigen drin?

In diesem Sinne „Klerikalismus erkennen und überwinden“: ein weites Feld, das eine Tagung am 25. März 2021 erschließen sollte. Als ob die Thematik nicht komplex genug wäre, kämpfte die Veranstaltung mit erheblichen organisatorischen Problemen. So fiel die Hauptreferentin, Prof. Maria Widl aus Erfurt, kurzfristig krankheitsbedingt aus und einer der zwei weiteren Impulsgeber, der Aachener Generalvikar Dr. Andreas Frick, flog häufig aus der digitalen Leitung.

Tapfer füllte der Publizist Ludger Verst die Lücken, die durch Widrigkeiten und Entscheidungen entstanden. Er zeichnete nach, wie sich das Lehramt und die Sprache der römischen Kirche in den letzten beiden Jahrhunderten trotz bedeutenden gesellschaftlichen Wandels verfestigt und versteinert haben. Allen Reformbemühungen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil zum Trotz halte sich eine teils explizite, teils subtile Selbstherrlichkeit und Überhöhung des Priesteramtes.

Die Distanz zwischen einer selbstbezogenen Kleriker-Kirche und dem dynamischen Volk Gottes, dem das gemeinsame Priestertum obliege, wachse. Dies sah Verst im Besonderen der ideologischen Verhaftung im Denken und Sprechen des lateinischen Spezialistendiskurses geschuldet. Davon sich nicht zu lösen, erfordere eine kaum mögliche Übersetzung komplexer Denk- und Sprachfiguren, die inzwischen von den meisten Menschen auch nicht mehr nachvollzogen werde.

Der Analyse eines in sich geschlossenen, selbstreferentiellen kirchlichen Systems konnte sich Generalvikar Dr. Andreas Frick gut anschließen. Ein so verstandener Klerikalismus stehe einer offenen Weiterentwicklung der Kirche im Wege, betonte er. Und er zog eine Linie von den Feststellungen, die bereits die MGH-Studie getroffen hatte und die das WSW-Gutachten zur sexualisierten Gewalt im Bistum Aachen bekräftigte. Dessen Empfehlungen seien Grundlage der weiteren Aufarbeitung.

Veranstaltungen wie diese seien unerlässlich, um zu einem neuen Verständnis des Gemeinsam-Kirche-Seins zu kommen, bekannte sich Dr. Frick zum durchaus selbstkritischen Diskurs. Falsche und gefährliche Priesterzentriertheit gelte es zu überwinden. „Priester dürfen sich nicht aus der Gemeinschaft der Gläubigen abheben“, entfaltete er seine Entwicklungsperspektive auf das Thema. Seine Stichworte: gemeinsam mit den Getauften unterwegs sein, die Berufung als Dienst begreifen.

Hier trafen sich dann, soweit Rückmeldungen von Teilnehmenden sicht- und hörbar wurden, Konfliktlinien im Publikum. Was meint die Rede vom Dienst, wo es in der Hauptsache um Machtverhältnisse in der Kirche geht? Wie sieht in diesem Zusammenhang die Gleichstellung von Frauen und Männern aus? Wie tief ist der Klerikalismus auf Strukturen und Theologien hin jenseits dieser Fragestellung verankert? Der Abend tippte viele Punkte an, die mit dem Thema verbunden sind. Weitere Erörterungen dieser Art müssen folgen – so lautete das gemeinsame Fazit.

 

Info

Die Klerikalismus-Veranstaltung gehörte zu einer viel beachteten Veranstaltungsreihe, die sich mit den systemischen Ursachen von sexualisierter Gewalt im Raum der Kirche beschäftigt. Mehr Informationen und nächste Termine unter www.wiedervorlage-aufarbeitung.de.

Als Veranstalter zeichnen verantwortlich: BDKJ Diözesanverband Aachen, Bischöfliche Akademie des Bistums Aachen, Diözesanrat der Katholiken im Bistum Aachen, Katholisches Forum für Erwachsenen- und Familienbildung Mönchengladbach und Heinsberg, kfd Diözesanverband Aachen.