Staat und Gesellschaft machen schon länger Druck, jetzt kommen Mitarbeiter:innen der Institution selbst dazu: Die katholische Kirche in Deutschland steht nach einem fulminanten Paukenschlag am 24. Januar 2022 in der Pflicht, ihr Arbeitsrecht auf den Stand des Grundgesetzes zu heben. Dieses legt fest, dass niemand wegen seiner sexuellen Orientierung und Identität diskriminiert werden darf. Mit #OutInChurch, einem gemeinsamen Outing von 125 Menschen im Dienst der Kirche, sind Ziel, Richtung und Tonalität nun gesetzt.
Aus dem Bistum Aachen beteiligten sich recht viele Personen an der konspirativ geplanten Aktion. Dazu gehören auch vier junge Menschen, die sich allesamt in der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg engagieren. Mit ihrer sexuellen Orientierung und Identität haben sie im geschützten Raum der DPSG keinerlei Probleme gehabt, erzählen Anna Dallmeier, Corinna Hilgner, Evelyn Keusen und Matthias Koß. Die Rückendeckung der Leitungskräfte im Verband haben sie als befreiend erfahren und diese Freiheit von Angst möchten sie flächendeckend in der Kirche verwirklicht sehen.
Dafür haben sie selbst allen Mut zusammengenommen und sich öffentlich im Zuge von #OutInChurch geoutet, teilweise im Fernsehen, teilweise ausschließlich im Netz. Vorher durchlebten sie aufregende Monate, manchmal mit Zweifeln und Befürchtungen verbunden. Doch insgesamt bestärkte sie die großartige Vernetzung mit den Mitstreiter:innen von überall in der Bundesrepublik. Dass alle Beteiligten so lange dichthalten mussten, war gar nicht so einfach, berichten die vier Aktiven. Und in der Nacht vor dem Start schliefen sie unruhig oder überhaupt nicht: Was wird nun passieren?
Das Echo war riesig, der Zuspruch auch
Was folgte, war eine Überraschung. Die öffentliche Aufmerksamkeit sprengte alle Erwartungen. Das Fernsehen verlegte die bewegende Dokumentation von #OutInChurch in die beste Sendezeit vor. Kaum war sie in der Mediathek platziert, früh morgens, und die Internetseite online, trudelten bereits die ersten Messages, Mails und Sprachnachrichten ein, erzählen die vier. Unglaublich viele Menschen meldeten sich bei ihnen, den ganzen Tag über, die ganze Woche, noch bis heute. Neben Familie und Freund:innen auch alte Bekannte, frühere Mitschüler:innen zum Beispiel.
Der Zuspruch für den persönlichen Mut, mit der eigenen sexuellen Orientierung und Identität an die Öffentlichkeit zu treten, um etwas zu bewegen, war ausgesprochen hoch. Wohin man auch schaute und hörte, gab es Beifall und unterstützende Solidaritätsadressen. Gut, das rechtskatholische Lager tobte seinen vorgestrigen Kampf weiter. Aber die große Mehrheit der Menschen, die sich für das Thema interessierten, begrüßten den Kampf für eine menschenfreundliche, diverse Kirche. Dass sie Teil dieser Bewegung sind, sie sogar angetrieben haben, macht die vier auch ein wenig stolz.
Bei aller Euphorie über eine hochgradig öffentlichkeitswirksame Aktion bleibt der Blick nach vorne nicht ungetrübt, und er bleibt kämpferisch. Auch wenn eine Willenserklärung nach der nächsten aus deutschen Bistümern eintrudelt, dass sich die Verhältnisse in die gewünschte Richtung verbessern, ist erst ein Zwischenschritt getan. Längst nicht alle Diözesen haben rechtlich verbindlich erklärt, die diskriminierenden Bestimmungen aus dem kirchlichen Arbeitsrecht auszusetzen. Die mutigen 125 #OutInChurch-Aktiven haben wohl nichts zu befürchten – aber was ist mit den vielen anderen?
Für ein geändertes Arbeitsrecht trommeln
Das Ziel ist noch nicht erreicht, dessen sind sich Anna Dallmeier, Corinna Hilgner, Evelyn Keusen und Matthias Koß bewusst. Deshalb machen sie weiter, bereiten nächste Aktivitäten vor. Die Jahrzehnte unter Beweis gestellte Schwerfälligkeit der katholischen Kirche schreckt sie nicht. Mit dem Rückenwind ihrer gelungenen Gemeinschaftsaktion trommeln sie weiter für ihre Vision. Dass es einen langen Atem braucht und eine ausgeprägte Frustrationstoleranz, wissen sie. Doch sie sind nicht allein. Mit Partner:innen wie dem Aachener Diözesanrat der Katholiken bleiben sie am Thema dran.
Das bekräftigt auch Heribert Rychert, als stellvertretender Vorsitzender des Rates und langjähriger Geschäftsführer der DPSG im Bistum Aachen gleich zweifach verstrickt. Er war es, der den vieren die Ängste und Sorgen nahm, dass das kirchliche Arbeitsrecht ihrem beruflichen und ehrenamtlichen Engagement im Verband im Wege stand. So ging es gut für sie aus, sie mussten keine Tabus und Heimlichkeiten leben. Wenn das aber für alle Menschen in der Kirche so sein soll, muss sich das Kirchenrecht ändern, damit es eben keine individuelle Ermessensentscheidung einzelner Personen bleibt. In diesem Einsatz weiß sich Heribert Rychert von Beschlüssen der Vollversammlung getragen.
Das dickste Brett, das es zu bohren gilt, wird das römische Lehramt sein. Die #OutInChurch-Aktiven und viele andere reformorientierte Katholik:innen fordern, dass bisherige diskriminierende Aussagen der Kirche zu Geschlechtlichkeit und Sexualität revidiert werden. Zudem sollte Kirche in ihren Augen auf jeder Ebene jede Form der Diskriminierung beenden, so dass nicht nur auf dem Papier eine Vielfalt herrscht, sondern auch im gelebten Umgang. Alle queeren Menschen, insbesondere auch trans und nicht-binäre, sollen überall im kirchlichen Kontext ohne Angst ihre Identität ausleben können. Solange auch dies nicht erreicht ist, sind die Aktiven mit ihren Forderungen nicht am Ziel.