Der Eklat
Mit einem Gefühl des guten „Geistes von Frankfurt“ fuhr ich als Synodaler des Diözesanrats Aachen zur 4. Synodalversammlung nach Frankfurt. Was ich da erlebte, war aber eine Geisterbahn.
Am Donnerstag stand auf der Tagesordnung der Grundlagentext zu einer neuen liberaleren Sexualethik. Die Diskussion war nur kurz, und es zeigten sich nur einige kritische Stimmen, sodass man schnell zur Abstimmung kommen konnte. Während im Plenum mit 82 % Zustimmung mehr als die erforderliche 2/3-Mehrheit zustande kam, zeigte das Ergebnis der Bischöfe nur 62% Zustimmung – zu wenig für die auch hier erforderliche 2/3-Mehrheit.
Entsetzte Reaktionen. Mehrere junge Synodale formten in der Mitte des Sitzungssaales einen Protestkreis, viele andere schlossen sich dem an, sogar einige Bischöfe. Entsetzen, weil damit nicht gerechnet werden konnte. Weder im Vorfeld bei Hearings und Änderungsanträgen hat sich das in der Breite angekündigt, auch in der Diskussion vorher gab es wenige Gegenstimmen. Das Papier war wegen mangelnder Kommunikation der Bischöfe im Synodalen Weg und untereinander gekippt. Die Satzung des Synodalen Wegs sieht auch keine andere Möglichkeit vor.
In der hoch emotionalen Aussprache wurde von einer Heckenschützenmentalität gesprochen. Eine Ordensschwester fragte die Bischöfe, warum die Gläubigen noch bei ihren Bischöfen bleiben sollten, wenn die Bischöfe ihre Herde schon längst verlassen hätten. Einige jüngere und queere Synodale verließen die Sitzung, weil für sie nicht nur ein Text verabschiedet wurde, sondern sie sich – zu Recht auch persönlich – diskriminiert fühlten.
Sexualmoral und sexualisierte Gewalt
Der Synodale Weg, zu dem die Bischöfe das ZdK in der Krise der Kirche wegen und sexualisierter Gewalt eingeladen hatten, wird nun von einigen Bischöfen wegen eines Textes zu einer Überarbeitung der Sexualethik in einen Scherbenhaufen verwandelt – wegen Dialogverweigerung. Die Gründe für viele Gegenstimmen sind immer noch nicht klar. Ein Weihbischof sagte in einem Seitengespräch, er wollte „die Moral nicht über Bord werfen“. Aber ist die Moral wegen des Missbrauchsskandals nicht längst über Bord geworfen? Und werden die vielen Menschen weiter ignoriert – junge und ältere – die mit einem sensiblen ethischen Gefühl und Gewissen für sich und ihre Partnerschaften eine eigene Sexualmoral entwickelt haben jenseits von Kirche und Katechismus? Das gescheiterte Papier hatte den Versuch unternommen, das zumindest teilweise wieder zusammenzuführen.
Doch noch Beschlüsse gefasst
Nach getrennten Sitzungen und mit einem neuen Zeitplan wurde ab Freitag weiter getagt. Die Spannung war greifbar, und die Diskussion wurde deutlich verlängert. Es stand der gesamte Synodale Weg bei einem Scheitern weiterer Texte auf dem Spiel, wenn auch hier der synodale Dialog verweigert worden wäre. Doch der Eklat blieb zum Glück aus. Wichtige Papiere wurden mit den erforderlichen Mehrheiten verabschiedet. Vor jeder Abstimmung mussten die Bischöfe in Klausur. Verabschiedet wurden unter anderen der Grundtext zu „Frauen in Diensten und Ämtern“ und der Handlungstext zu einem Synodalen Rat als Fortführung des Synodalen Wegs. Handlungstexte zu Neubewertung von Homosexualität und zur Grundordnung des kirchlichen Dienstes retteten zumindest Teilaspekte des Grundtextes zur Sexualethik – der Grundschaden ist damit aber nicht behoben.
Die Bischöfe und unser Bischof
Die Haltung der einzelnen Bischöfe ist inzwischen transparent, da nach dem Eklat die weiteren Abstimmungen namentlich erfolgten. Die Haltung unseres Bischofs Helmut Dieser kann ich nur positiv herausheben. Er hat sich als Co-Präsident der Forums Sexualethik engagiert im Vorfeld und bei der Versammlung für das Anliegen des Grundtextes eingesetzt. Er war von dem Abstimmungsergebnis genauso schockiert und ratlos wie viele. Er hat sich bei den weiteren Entscheidungen vehement für die Annahme der Anliegen bei seinem Kollegen eingesetzt. Zu guter Letzt hat er aber auch klare Worte zur Verweigerungshaltung der Betonfraktion bei den Bischöfen gefunden.
Wie geht es weiter?
Der Synodale Weg als solcher ist weiter beschädigt.
Durch den Eklat ist der Zeitplan des Weges aus den Fugen geraten, und es ist klar, dass nicht alle geplanten Texte zur Verabschiedung kommen können.
Der Grundtext zu einer neuen Sexualethik ist gescheitert und jetzt trotz der 82% Zustimmung des Plenums und der 62% Zustimmung der Bischöfe ein Nicht-Beschluss. Auch wenn einige Bischöfe ihn für ihre Diözese aufgreifen und umsetzen wollen, bleibt eine schmerzhafte Lücke bei diesem wichtigen Thema.
Und das Vertrauen zwischen Bischöfen und den anderen Synodalen ist nachhaltig gestört. Ob sich der „Geist von Frankfurt“ der ersten drei Versammlungen wieder einstellt, bleibt fraglich. Zurzeit herrscht eine angespannte Stimmung, und wenn noch einmal ein solcher Eklat passiert, steht der ganze Prozess vor dem Totalschaden.
Was heißt das für unser Bistum?
Die Themen des Synodalen Weges haben hier bisher wegen des „Heute bei Dir“-Prozesses keine prominente Rolle gespielt. Vielleicht sind die Ereignisse von Frankfurt eine Initialzündung, stärker für das Bistum Aachen zu überlegen, wie Macht und Gewaltenteilung, die Stellung der Frau in der Kirche und Fragen der Sexualethik gemeinsam aufgegriffen und umgesetzt werden können.
Heribert Rychert, stellvertretender Vorsitzender des Diözesanrats der Katholik*innen im Bistum Aachen und Aachener Synodaler beim Synodalen Weg