Das jüngst vorgelegte Gutachten der Münchener Kanzlei Westphal Spilker Wastl zur sexualisierten Gewalt von Klerikern im Bistum Aachen ist ein Meilenstein. Erstmals liegt nun eine Studie vor, die die systemischen Ursachen von sexuellem Missbrauch Minderjähriger und erwachsener Schutzbefohlener durch Kleriker im Bereich des Bistums Aachen im Zeitraum 1965 bis 2019 analysiert. Das Fazit ist vernichtend: Im Bistum Aachen ging Täterschutz vor Opferschutz.
Für uns kommt es jetzt ganz entscheidend darauf an, was aus dem Gutachten entsteht. Wir erwarten vom Bischof von Aachen einen Zeit- und Maßnahmenplan, der mess- und überprüfbare Ziele zur Umsetzung beinhaltet. Und zwar auf jede der Empfehlungen der Kanzlei hin. Innerhalb von zwei Monaten, also bis Mitte Januar 2021, muss die Diözese schriftlich darlegen, wie sie jede einzelne Empfehlung zu bearbeiten beabsichtigt. Wo die Bistumsverantwortlichen den Gutachtern nicht folgen wollen, sollen sie das benennen.
Dabei geht es uns nicht um Aktionismus. Im Gegenteil: Es geht um transparente, klare und überprüfbare Konzepte. Vordringlich fordern wir die Einrichtung einer Kommission im Sinne der “Gemeinsamen Erklärung des Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs und der Deutschen Bischofskonferenz vom "22. Juni 2020“. Die Beurteilung der Maßnahmen um nachhaltigen Opferschutz und Prävention darf nicht mehr in den Händen der Institution selbst liegen. Deshalb sind derzeit auch vorschnelle öffentliche Selbstbekundungen als Fürsprecher für die Betroffenen unangebracht.
Dazu gehört auch die selbstkritische Reflexion der eigenen Rolle von uns als Laienorganisationen in einem System des Nichtwissens und des Nichtwahrhabens und Nichtwahrhaben-Wollens. Aufarbeitung mit den Zielen des Betroffenenschutzes und der Prävention ist vor diesem Hintergrund eine Haltung, die in unseren Augen von allen engagierten katholischen Christinnen und Christen praktiziert werden muss.
Nach Lektüre des Aachener Gutachtens verstehen wir einmal mehr: Kirche muss endlich die Würde der einzelnen Person, ihre Autonomie und ihre Selbstbestimmung in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen und zum Fixpunkt ihrer inneren Verfassung machen. Die blendende Illusion einer zur unbefleckten Heiligkeit berufenen Gruppe ist bis heute wirksam. Nur wenn sie überwunden wird, sehen wir langfristig die Veränderung hin zum Besseren. Daraus resultiert auch der Abschied von der bisher schädlichen Sexualmoral. Eine Kirche in einem demokratischen Gemeinwesen muss sich von einer monarchischen Kirche abwenden und ein neues Amts- und Weiheverständnis entwickeln.
Fakten und Empfehlungen liegen dank des Gutachtens auf dem Tisch. Jetzt ist die Zeit der Umsetzung. Leitend sollte in der Tat die Perspektive der Betroffenen sein. Aber nicht wir oder das Bistum definieren diese Perspektive, sondern Betroffene selbst. Dafür sind schnellstmöglich die Grundlagen zu schaffen.
Aachen, 19.11.2020
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