Das Corona-Virus hat viele Länder des Globalen Südens in eine kritische Lage gebracht bzw. die kritische Situation verschärft, die schon vor der Pandemie herrschte: Prekäre Arbeitsverhältnisse, eine ausgeprägte und tiefe soziale Spaltung, unzureichende medizinische Versorgung, soziale Verwerfungen und fehlender Zugang zu sauberem Wasser sind einige gesellschaftliche Folgeprobleme, die den Kampf gegen die Corona-Pandemie erschweren. Im Fall von Kolumbien wirkt die Covid-19-Pandemie, neben den genannten sozialen Problemen, als Katalysator für eine niederschmetternde Menschenrechtsbilanz, insbesondere für diejenigen Menschen, die die Menschenrechte in dem Land verteidigen.
In keinem anderen Land Lateinamerikas werden so viele Aktivist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen ermordet wie in Kolumbien. Seit der Unterzeichnung des Friedensvertrages 2016[1] bis August 2020 sind etwa 1000 Aktivist*innen, Umwelt- und Politikaktivist*innen, Gewerkschaftler*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen, soziale Anführer*innen, Indigene und ehemaliger Farc-Mitglieder ermordet worden[2]. Trotz der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Ausgangssperre wurden im ersten Halbjahr 2020 95 Aktivist*innen ermordet. Meistens wurden die Attentate in den eigenen Häusern der Aktivist*innen ausgeübt.[3]
Die Gewalt gegen Menschenrechtsverteider*innen ist auf ihre Kämpfe für das Wohl und die Verteidigung verschiedener Rechte zurückzuführen. Angriffe werden gegen die Verteidiger*innen des Friedensprozesses geführt, besonders in den Bundesländern Valle, Nariño, Antioquia und Chocó[4]. Aktivist*innen aus diesen Regionen legen großen Wert darauf, dass die in Havanna im Friedensvertrag vereinbarten Punkte umgesetzt werden, besonders in Bezug auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung der Opfer, Entwicklungspläne, Substitution für den Kokaanbau, autonome Ausübung der Kontrolle über ihr Territorium und Landrückgabe. Ihr Einsatz macht sie, mitten in einem Kontext der Re-Konfiguration von Gewalt, unangenehm für die verschiedenen bewaffneten, legalen und illegalen Gruppen, die in der Region präsent sind[5].
Die hohe Zahl von Angriffen gegen Aktivist*innen, die zum größten Teil auf das Desinteresse des derzeitigen Präsidenten Ivan Duque zurückzuführen ist, den Friedensvertrag umzusetzen, hat die Regierung große Gleichgültigkeit entgegengebracht. Sogar Sicherheitsbehörden versuchen Mordfälle mit persönlichen Problemen anstatt als Konsequenz des politischen Einsatzes der Person in Verbindung zu bringen[6]. Im ersten Halbjahr 2020 konzentrierte sich die Regierung auf die Covid-19-Maßnahmen, so dass die unmittelbare bevorstehende Gefahr für die Aktivist*innen in den Hintergrund geriet. Als Folge wurden viele bedrohte Aktivist*innen gezwungen, zusammen mit ihren Familien, ihr Territorium zu verlassen, um ihr Leben zu retten[7].
Der Diözesanrat der Katholiken im Bistum Aachen, der seit Jahrzehnten eine lebendige Partnerschaft mit verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen in Kolumbien hat, sieht mit Sorge und Fassungslosigkeit auf die Menschenrechtssituation in Kolumbien und auf die daraus resultierenden Folgen für die Partner*innen und andere zivilgesellschaftliche Organisationen.
Im Rahmen des Tages den Menschenrechte möchte die Kolumbien-AG des Diözesanrats der Katholiken im Bistum Aachen auf die Lage der Menschenrechtsverteidiger*innen in Kolumbien aufmerksam machen. 7 Tage lang veröffentlichen wir auf der Facebook-Seite des Diözesanrats einen Rückblick auf einige Opfer, die im 2020 ermordet wurden, um ihre Kämpfe für die Menschenrechte in Kolumbien anzuerkennen. Gleichfalls ist es ein Appell an die Kolumbianische Regierung, endlich die Gefahr der Zivilgesellschaft und Aktivist*innen wahrzunehmen, sie zu schützen und den Friedensprozess nicht weiter zu unterlaufen.
[1] Im September 2016 hat die Regierung ein Friedensabkommen mit der Rebellenorganisation FARC geschlossen. Dies beendete den mehr als 50 Jahre dauernden Bürgerkrieg. Die entwaffnete FARC sitzt inzwischen als politische Partei im Parlament.
[2] Siehe Indepaz: http://www.indepaz.org.co/1-000-lideres-y-defensores-de-ddhh/ (aufgerufen am 02. Dezember 2020)
[3] Siehe 1 und Smolenski, Sonja: „Morde an Aktivisten nehmen in Kolumbien auch unter der Ausgangssperre weiter zu“, unter: https://amerika21.de/2020/04/238761/kolumbien-ausgangssperre-morde (aufgerufen am 11. Dezember 2020)
[4] Castro, Lourdes et: El Virus de la Violencia. Informe Semestral enero- junio 2020. Sistema de Información sobre Agresiones contra Personas Defensoras de Derechos Humanos en Colombia -SIADDHH. Bogotá 2020. ISBN: 978-958 - S.110
[5] Siehe: https://verdadabierta.com/el-virus-de-la-violencia-tiene-en-jaque-a-los-lideres-sociales/ (aufgerufen am 02. Dezember 2020).
[6] Nur 15% der Mordfälle wurden von Staatanwälten verurteil (Vgl. Castro 2020: 87)
[7] Siehe: https://verdadabierta.com/el-virus-de-la-violencia-tiene-en-jaque-a-los-lideres-sociales/ (aufgerufen am 2. Dezember 2020)