Ein Jahr „Heute bei dir“: Die Neujahrsumfrage der KiZ spiegelt eine gespaltene Stimmung im Bistum wieder:Eine Frage des Vertrauens
Ein Jahr „Heute bei dir“: Die Neujahrsumfrage der KiZ spiegelt eine gespaltene Stimmung im Bistum wieder
In ihrer Neujahrsumfrage wollte die KirchenZeitung von Persönlichkeiten aus dem kirchlichen Leben wissen, wie sie auf das erste Jahr von „Heute bei dir“ schauen und wie sie die Zukunftsperspektiven des Prozesses sehen.
Das Echo ist ausgesprochen gegensätzlich ausgefallen. Zuweilen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, die Befragten lebten in unterschiedlichen Welten – in Parallelgesellschaften, die wenig Verbindung zueinander haben. Der nachfolgende Versuch, die Antworten von 22 Persönlichkeiten zu bündeln, kommt somit einer Quadratur des Kreises nahe. Aber, soviel als erstes Fazit vorweg: Das genau scheint die Situation zu sein, in der das Bistum Aachen zu Beginn des neuen Jahres steckt. Gräben haben sich offenbart – und zwar an vielen Orten der weitläufigen kirchlichen Landschaft.
Das beginnt bereits bei der Frage, wie der Beginn des Ganzen bewertet wird. Der Gladbacher Pfarrer Thomas Schlütter dachte nach der Predigt: „Super, jetzt geht es wieder voran! Jetzt ist wieder Perspektive für mich, für uns, für unser Bistum. Jetzt habe ich die Möglichkeit, mich einzubringen und mitzugestalten, wohin sich unser Bistum entwickeln wird.“ Auch für Hans-Joachim Hofer, Katholikenrat und Mitglied im Regionalteam Krefeld, waren die Worte des Bischofs „überzeugend und Mut machend“.
Pfarrer Hans-Otto von Danwitz aus Düren hat so manche Kritikpunkte anzuführen, findet jedoch zunächst einmal grundsätzlich gut, „dass unser Bischof wachrüttelt, dass es so mit der Volkskirche nicht weiter geht, dass die Menschen über eine tragfähige Zukunft von Kirche in unserem Bistum nachdenken müssen. Und er ermutigt, wirklich noch einmal den Anfangsimpuls der Verkündigung Jesu und der
ersten Apostel aufzunehmen, wie das Evangelium den Menschen dienen kann.“
Den erklärten Willen der Bistumsleitung, darüber mit Menschen ins Gespräch zu kommen, begrüßt auch Bernhard Verholen, Geschäftsführer des Regionalen Caritasverbands in Aachen. Aber er hält zugleich fest: „Leider war dieser Ansatz mit einem deutlichen Ausschluss derjenigen verbunden worden, die bisher mit viel Leidenschaft und Fachexpertise die Arbeit in der Kirche im Bistum Aachen mittragen.“ Diese Fragen von Partizipation und Transparenz hätten zu Beginn des Prozesses viel Energie gekostet, viele Menschen verstört und frustriert. Verholen: „Das wäre nicht nötig gewesen.“
Andrea Nell, Kirchenmusikerin und GdG-Ratsmitglied aus St. Gertrud Herzogenrath, sieht die Sache aus anderer Perspektive. Besonders erinnert sie sich an die Auftaktveranstaltung im Pius-Gymnasium, „bei der Bischof Helmut das Gespräch auf Christus als das Zentrum unseres Glaubens lenken wollte, sich aber viele Anwesende mehr um die Machtverteilung im Bistum sorgten, als hätten sie etwas zu verlieren.“ Pater Albert Altenähr von den Benediktinern in Kornelimünster weist auf die Fallhöhe hin, in die sich der Prozess früh begeben hat. „Große Auftaktveranstaltungen haben von großen Veränderungen träumen lassen.“
Karl Kampermann, Personalchef im Generalvikariat und Mitglied der Lenkungsgruppe von „Heute bei dir“, „hat die Entschlossenheit des Bischofs beeindruckt, einen Prozess zu beginnen, dessen Weg und dessen Ergebnisse offen sind.“ Was er als Vorteil begreift, sieht Gabi Terhorst, Katholikenrätin und Mitglied im Regionalteam von Kempen/Viersen, etwas anders. Sie erinnert sich „an den plötzlichen und wenig vorbereiteten Start“. Sie nimmt aus dem ersten Jahr mit, „dass man nicht einfach mal machen kann, sondern zumindest überlegt haben sollte, mit wem will man machen, und die vorhandenen Kräfte bestmöglich mit einbeziehen sollte.“ Auch Pfarrer Philipp Cuck, Mitglied im Regionalteam Eifel, vermisst weiter Klarheit in der Zielsetzung des Prozesses und in der Beteiligung von Gremien und Kirchengemeinden.
Was aus dem von seinen Machern „iterativ“ genannten Geschehen bisher entstand, wird ebenfalls sehr unterschiedlich bewertet. Markus Bruns, Propst und Mitglied im Regionalteam Heinsberg, resümiert so: „In der ersten Phase sind viele Facetten sehr offen und in großer Unterschiedlichkeit angesprochen worden. Die dringende Notwendigkeit zur Veränderung ist deutlich spürbar – genauso wie der Wunsch nach echter Beteiligung.“
Irene Mörsch, Katholikenrätin aus Düren, ist die angebotene Form von Mitsprache leid: „Ich mache nicht mit, weil ich schon nach dem 1. Bistumstag und vor allem nach der Beteiligung am Dialogprozess von Bischof Mussinghoff in der Arbeitsgruppe ‘Macht’ keinen Sinn sah, wieder Papiere oder Ähnliches für Schubladen zu produzieren.“ Auch Bernhard Verholen sagt nach seinem Erleben eines Themenforums: „Ich habe den Eindruck, dass es nicht an Erkenntnissen mangelt – es tauchen fast identisch die Themen auf, die schon vor 16 Jahren auf dem letzten Bistumstag erörtert wurden. Es mangelt an Umsetzungsbereitschaft.“
Pfarrer Thorsten Aymanns, Mitglied der Lenkungsgruppe von „Heute bei dir“, blickt gerne auf die Begegnungen mit Menschen zurück, „die sich auf unglaublich vielfältige Art in unserer Kirche einbringen“. Er habe erlebt, „wie mühsam es ist, mich selbst und andere erst einmal zum genauen Hinschauen und Zuhören zu motivieren, wo wir alle ja oft schon
eigene Bilder und Lösungen im Kopf haben.“ Beflügelt zeigt sich Karl Kampermann von der „starken Energie, die im Prozess erkennbar wurde. Die Energie des Bischofs und Generalvikars, etwas Neues zu beginnen. Die Energien vieler, die diesen Aufbruch mit gestaltet haben, und auch die Energien derer, die Vorbehalte und Skepsis formulierten.“ Auch Pater Albert Altenähr wertet die Beteiligung positiv: „Die Bereitschaft so vieler, ‘mitzumachen’, ist ein Hoffnungszeichen, dass Kirche nicht tot, sondern lebendig ist.“ Der Prozess habe, so ergänzt Lenkungsgruppenmitglied und Gemeindereferentin Sabine Kock, „enorm an Breite gewonnen“: „Es hat mich sehr beeindruckt zu erleben, wie viele Rollen und Aufgaben im Prozess entstanden und übernommen worden sind.“
Allerdings sei es im Großen und Ganzen nicht gelungen, der Kirche distanziert gegenüberstehende Menschen zu erreichen, bilanzieren viele Befragte. Dabei sei das so wichtig, betont Thorsten Aymanns: „Wir werden von ihnen als Kirche viel lernen können, was über unseren bisherigen Denkhorizont hinausgeht. Das ist für uns in der Kirche eine Provokation, die uns aus dem eigenen Schneckenhaus herausruft.“ Elisabeth Laumanns beobachtet, dass auch bei kirchlich Verbundenen sich viele abgrenzen. „Diejenigen, die dem Prozess nicht vertrauen und sich ihm widersetzen, bleiben diesen Gesprächsrunden fern, so dass auch kein Austausch mit ihnen möglich ist.“
Bernhard Verholen warnt vor Verzerrungen, die aus dieser Verortung des Prozesses entstehen können. Man dürfe nicht bei einer so reduzierten binnenkirchlichen Wahrnehmung bleiben und „zum Beispiel die Beteiligung von jetzt neu Mitwirkenden im Prozess als die maßgebliche neue Lebenswirklichkeit fehlinterpretieren“. Schon im kirchlichen Bereich müsse man weiter springen, argumentiert Walter Nett, Mitglied des Regionalteams Aachen-Stadt: „Über die Themenforen Anliegen und Visionen einzubringen, war für die einzelnen Teilnehmer relativ einfach. Die systematische Beteiligung von Gemeinden, Pfarreien, GdGs, Regionen und Räten ist naturgemäß langwieriger. Es ist wichtig, dass beide Analysequellen gleichwertig genutzt werden.“ Außerdem sieht Nett die Weltkirche als ein Feld, von dem das Bistum Aachen lernen könne. Das unterstreicht auch Markus Büker, Theologe beim Bischöflichen Hilfswerk Misereor, und hebt dabei die Kolumbienpartnerschaft hervor: „Wie arbeiten im Partnerland Pfarreien, Basisorganisationen, Bistümer für Gerechtigkeit und Frieden? Welche Modelle von Christ- und Kirchesein gibt es dort?“
Andere Befragte heben darauf ab, dass nun wirklich das Leben, wie es ist, in den Prozess hereingeholt werden müsse. Sabine Kock beschreibt es so: „Kirche muss sich mit dem täglichen Leben vermischen, statt zu warten, dass jemand kommt.“ Oft wird konkret die Situation von Benachteiligten benannt, von Arbeitslosen und ihren Familien, von Kindern, die in Armut aufwachsen. Dadurch sehen viele Befragte sich als Christen und die Kirche herausgefordert und vermissen den Aspekt im Prozess. „Die drängenden Probleme der Menschen haben, trotz der vielen interessanten Konzilsdokumente, der Enzyklika ‘Laudato si’, der Ansprachen von Papst Franziskus keinen Platz in diesem Prozess“, kritisiert Heinz Backes, Vorsitzender der Katholischen Arbeitnehmer-Be-wegung im Bistum. „Wo kommen diese Themen vor? Da engagiere ich mich als Christ lieber genau in diesen Feldern. Ich finde es schade, dass der Bischof und das Bistum nicht auf die kirchlichen Akteure dort schaut, hört und von ihnen lernt.“
„Der Sozialkatholizismus hat eine hohe gesellschaftliche Anerkennung, und das Bistum Aachen wird hierdurch für die ‘Menschen am Rande’ sichtbar“, ergänzt Berthold Santjer aus Krefeld, Vorsitzender des Koordinationskreises kirchlicher Arbeitsloseninitiativen. „Der Sozialkatholizismus muss deshalb ein viel größeres Gewicht im Prozess bekommen.“ Diözesancaritasdirektor Burkard Schröders bekräftigt das: „Ich bin fest davon überzeugt, dass sich die Kirche hin zu einer dienenden Kirche wandeln muss. Wenn der Prozess in kleinen Schritten dazu beiträgt, die Kirche wieder neu für Menschen in ihren ganz konkreten Lebensfragen und Nöten erfahrbar zu machen, haben wir einen großen Schritt getan.“
Andrea Nell nimmt einen anderen Standpunkt ein. Sie hat in diesem ersten Jahr von „Heute bei dir“ eines deutlich wahrgenommen: „eine Spaltung zwischen denen, die positiv auf die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zurückschauen, und denen, die genau diese Entwicklung als negativ, weil vom Zentrum des Glaubens wegführend und zersetzend erleben.“ Ihr Ausblick: „Wenn man nicht zu einem gemeinsamen und vertieften katholischen Bekenntnis zurückkehrt, wird die Entfremdung vom Herzstück in Liturgie und Verkündigung Sprengstoff für
den Prozess sein und letzten Endes zum Bruch in unserem Bistum führen.“
Andere Befragte sehen andere Sollbruchstellen, vor denen der Prozess und mit ihm das Bistum stehen. Auf den Punkt gebracht, fehlt es vielen an Vertrauen. Hans-Otto von Danwitz bekennt offen: „2018 war das bedrückendste Jahr meiner priesterlichen Tätigkeit bisher, weil ich unserem Bischof nicht traue,
dass er die Voten der Basis wirklich ernst nimmt.“ Viele nehmen mit großer Skepsis wahr, wie Dinge vorweggenommen, gesetzt, teilweise sogar schon entschieden werden, seien es Ausblicke auf Pfarreizusammenlegungen, die Bildung der Regionalteams, Personalversetzungen, Äußerungen zu Katechese und Liturgie. Die Offenheit, die für den Prozess deklariert wurde, solle „nicht durch unbedachte Äußerungen festgelegt und damit ad absurdum geführt werden“, betont Gabi Terhorst. „Ich vertraue auf den Heiligen Geist, dass er den entscheidenden Protagonisten zuflüstert, dass die Verantwortlichen nur für den Prozess da sind und nicht der Prozess für sie.“ Edith Furtmann, Gemeindeleiterin aus Krefeld, plädiert ebenfalls für Offenheit: „Den Worten des Bischofs ist immer wieder zu entnehmen, dass er bestimmte Dinge möchte und andere nicht. Ich würde mir wünschen, dass er mehr abwartet, denn ich glaube, dass die Menschen hier im Bistum ganz gut wissen, was gut für sie ist.“ Auch Walter Nett „irritieren Signale aus der Bistumsverwaltung und Bistumsleitung, die dem Prozess entgegenstehen. Wenn die gemeinsame Vertrauensbasis verloren geht, befürchte ich, dass der gesamte Prozess gegen die Wand gefahren wird. Der Heilige Geist hat noch viel Arbeit vor sich.“
Zeit für Brückenbauer. Bernhard Verholen ermutigt die Bistumsleitung, „konstruktive Kritik nicht persönlich zu nehmen, sondern als Ausdruck des Ringens und gemeinsamen Lernens zu verstehen“. Thomas Schlütter sagt: „Wir müssen gemeinsam einen guten, einen gangbaren Weg finden, mit allen Beteiligten. Wir müssen uns aufmachen, die alten Gräben und Feindschaften innerhalb des Bistums zu überwinden, die Wunden zu heilen und zu einer neuen Einigkeit finden. Dazu braucht es viel Zeit und Geduld.“
Zur Sache: Wie mit dem Thema „Macht“ umgehen?
Eine häufig geäußerte Kritik am Prozess ist die, dass er zu sehr um binnenkirchliche Fragen kreise. Aber ein binnenkirchliches Thema müsse gleichwohl noch aufgenommen werden, weil es auf den Nägeln brenne, sagt Mechtild Jansen, die Geschäftsführerin des Diözesanrats der Katholiken im Bistum Aachen: „Der Missbrauchsskandal mit allen Facetten von Macht, Klerikalismus, Priesterbild, Sexualmoral, Aufklärung kann nicht ausgeklammert werden.“
Gleiches unterstreicht Tobias Kölling: „Ich wünsche mir dringlichst, dass die Themen, die aus der Missbrauchsstudie erwachsen, auch im Prozess eingebunden werden. Es wäre fatal, vor allem aber auch umständlich, wenn Themen wie etwa die in der Studie erwähnten problematischen kirchlichen Strukturen erst ein Jahr nach dem Bistumsprozess wahrgenommen und konkret durchdacht werden und dann bereits bestehende Ergebnisse des synodalen Prozesses ein zweites Mal durchgesehen und durchdacht werden müssen.“
„Die Glaubwürdigkeit unserer Kirche und der Umgang mit Hierarchien sind die großen Fragen der Menschen an unsere Kirche,“ knüpft Burkard Schröders an die aktuelle Debatte an. „Ich erhoffe mir im Verlauf des Prozesses neues Vertrauen, einen achtsamen und wertschätzenden Umgang miteinander und das Erleben, dass unser Glaube auch im Zeitalter der Digitalisierung eine lebensbejahende und frohe Botschaft ist. Dazu braucht es die Fähigkeit zuzuhören, Beziehungen auf Augenhöhe, ehren- und hauptamtlich Tätige als verlässliche Partner und stabile Rahmenbedingungen.“
Für Andrea Nell führen diese Diskussionen auf Nebengleise. Im Prozess sollte es „weniger um Struktur-, Macht- und Frauenfragen gehen als um die zentralen Glaubensfragen. Dinge, die aus kirchenrechtlichen Gründen nicht im Bistum zu entscheiden sind oder die schon vom Lehramt beantwortet wurden, sollten verworfen werden, weil sie nur aufhalten.“ Sie nimmt eine Veränderungsangst gerade unter Laien im hauptamtlichen pastoralen Dienst wahr. „Hier liegt für mich die größte Baustelle. Lösung? Aufräumen! Die dicke Staubschicht abklopfen, damit der Katholizismus in unserem Bistum wieder die ihm eigene Strahlkraft bekommt und die Schönheit der Kirche zutage tritt, die automatisch Menschen anzieht und bindet, weil Christus in ihr wohnt.“