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Lebendige Kirche
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Wie Kinderseelen heilen können

Der Umgang mit traumatisierten Kindern erfordert viel Verständnis

Traumatisierte Kinder (c) pixabay.com
Traumatisierte Kinder
Datum:
Di. 3. Mai 2016
Von:
Garnet Manecke
Die Bilder der Flüchtlinge an den Grenzzäunen prägen sich ein. Vor allem die Gesichter der weinenden Kinder. Krieg, Gewalt und Flucht hinterlassen Spuren in ihren Seelen. In der Arbeit mit Flüchtlingskindern müssen Sozialpädagogen, Erzieher, Lehrer und Therapeuten damit umgehen.
traumatisierte Kinder (c) www.pixabay.com
traumatisierte Kinder

 Ein Trauma entstehe, wenn Kinder eine bedrohliche Situation erleben, die sie nicht bewältigen können, erklärt Michael Borg-Laufs, Dekan an der Hochschule Niederrhein und Inhaber der Professur für Psychosoziale Arbeit mit Kindern im Fachbereich Sozialwesen. Dabei gehe es weniger um die spezielle Situation als um das Gefühl der Hilflosigkeit und die dadurch bewirkte Veränderung im Selbst- und Weltverständnis. Das Thema prägt zurzeit die Arbeit vieler Pädagogen und Therapeuten in Kindergärten, Schulen und Jugendeinrichtungen. Denn mit dem Zuzug von Flüchtlingen ist auch die Zahl der zu betreuenden traumatisierten Kinder gestiegen. Im Jahr seines 50-jährigen Bestehens hat das Katholische Beratungszentrum für Ehe-, Familien-, Lebens- und Glaubensberatung im Bistum Aachen das Thema aufgegriffen. Zusammen mit der Familienbildungsstätte und dem Katholischen Forum hat das Beratungsteam Pädagogen und Therapeuten zur Pädagogischen Fachtagung in Mönchengladbach eingeladen. Unter dem Titel „Verlorene Sicherheit zurück gewinnen“ stand der Umgang mit traumatisierten Kindern im Mittelpunkt.

Wie sich eine traumatische Situation auf ein Kind auswirkt, hängt von der Wucht des Ereignisses ab. „Naturkatastrophen wie Erdbeben und Ähnliches gelten als solche mit der geringsten Wucht“, sagt Borg-Laufs. Ereignisse wie Zugunfälle oder Großbrände wirkten in der Regel stärker. „Am stärksten aber sind die von Menschen verübten Grausamkeiten wie Vergewaltigung, Folter, Krieg und Verfolgung“, sagt Borg-Laufs. „Und hier wiederum am mächtigsten die innerfamiliären Katastrophen wie Gewalttätigkeiten oder sexueller Missbrauch in der Familie.“ Die Auswirkungen zeigen sich in unterschiedlichem Verhalten: Jüngere Kinder wiederholen oft im Spiel die traumatische Situation in wiederkehrenden Re-Inszenierungen. Bei größeren Kindern und Jugendlichen seien so genannte Flashbacks ein Zeichen für Verarbeitungsprozesse – das durch einen Schlüsselreiz ausgelöste blitzartige Wieder-Erleben einer Situation. Aggressivität, totale Zurückgezogenheit, das Zurückfallen in frühkindliche Verhaltsweisen und die Vermeidung bestimmter Personen oder Situationen können ebenfalls auf Traumata hinweisen.

Ob und wie die Kinder die Traumata überwinden können, hängt davon ab, ob es gelingt, ihnen wieder Vertrauen zu geben. Dafür muss in den Einrichtungen eine Atmosphäre geschaffen werden, die den Aufbau des Selbstvertrauens und des Vertrauens zu anderen ermöglicht. „Für Kinder und Jugendliche ist es wichtig, dass sie ihr Verhalten verstehen und einordnen können“, betont Martina Gerdes, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin. „Damit sie nicht denken, sie hätten einen an der Klatsche.“ Trösten nach dem Motto „Alles wird wieder gut“ ist nicht hilfreich. Die Kinder sollten nicht nach ihren Gefühlen gefragt werden, wenn sie von Flucht oder Krieg erzählen. Vielmehr seien Fragen nach der Bewältigung der Situation wie „Wie habt ihr das gemacht?“ sinnvoll.


Verlässliche soziale Beziehungen sind das beste Mittel zur Genesung

Die Kinder in ihrem Bewältigungsprozess zu unterstützen, erfordert von Pädagogen und Therapeuten Kraft, Verständnis und Geduld. „Verlässliche soziale Beziehungen sind das beste Mittel zur Genesung“, sagt Gerdes. „Stabile Beziehungen herzustellen, ist dafür die Basis.“ Doch das ist nicht immer leicht. Denn die traumatisierten Kinder nehmen diese Hilfe nicht einfach dankbar lächelnd an. „Früh traumatisierte Menschen übertragen ihre Erfahrungen von Gewalt und Demütigung auf andere: auf Erwachsene wie Kinder“, sagt Gerdes.

Oft beginne die Aufarbeitung erst, wenn die traumatisierende Situation beendet sei. „Schwierig ist, dass dann oft mit Ausgrenzung reagiert wird“, sagt Gerdes. Zum Beispiel, wenn Kinder aus ihrer Familie herausgenommen würden. Wer mit traumatisierten Kindern arbeitet, muss eine Balance finden: einerseits eigene Handlungsimpulse reflektieren, auf eigene Grenzen achten, klare Strukturen und Rituale bewahren. Andererseits aber auch konsequent bleiben, wenn Kinder aggressives Verhalten zeigen. „Oft ist ein auffälliges Verhalten von Kindern ein Schutzverhalten“, sagt Gerdes. Maßnahmen wie ein Time-Out, also eine Zeit, in der die Kinder ruhig sitzen und über ihr Verhalten nachdenken sollen, sei kontraproduktiv. „Weil sich das Kind dann noch einsamer fühlt“, sagt die Psychotherapeutin. Zumal nicht nur die traumatisierte Situation zu bewältigen ist.

Gerade Flüchtlingskinder müssen nach der Flucht mit zusätzlichen Belastungen fertig werden: Verlust der Eltern oder wichtiger Bezugspersonen, Orientierung in zwei Kulturen oder psychisch erschöpfte Eltern, die ihre Kinder nicht stützen können. Was bedeutet das für die Pädagogen und Therapeuten? „Die Kinder brauchen Erwachsene, die stressresistent sind und die Hoffnung nicht verlieren“, sagt Gerdes. Die Frage „Was geht trotzdem?“ sollte immer gestellt werden. Dann könne das Trauma in das Leben integriert werden. Das Kind lerne, dass es einen Anfang und ein Ende gebe: Das Trauma ist Teil des Lebens, aber es beherrscht das Leben nicht.