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Lebendige Kirche
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Vergessen, aber hilfreich

Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf gibt Ideen für die Kirche der Zukunft auf der Basis alter Traditionen

Hubert Wolf (c) Andrea Thomas
Hubert Wolf
Datum:
Mi. 18. Apr. 2018
Von:
Andrea Thomas
Wenn es um (nicht gewollte) Veränderungen geht, beruft sich die katholische Kirche gerne auf uralte Traditionen und nicht selten fällt dann der Satz: „Es war immer schon so.“ Stimmt so nicht, sagt Hubert Wolf, Priester und Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster:

„Die Traditionen unserer Kirche sind richtig breit. Die Geschichte ist viel bunter und oft ganz anders verlaufen als vermutet.“

Wie bunt, stellt Wolf in seinem 2015 erschienenen Buch „Krypta" vor, auf dem auch ein Vortrag basierte, zu dem ihn der Arbeitskreis „Forum Gott und die Welt" der Pfarrei St. Peter und Paul nach Eschweiler eingeladen hatte. Die Verantwortlichen dort erhofften sich – ebenso wie das Publikum – davon auch „den ein oder anderen Impuls für den synodalen Prozess im Bistum Aachen". Ein paar Beispiele.

In den Traditionen der Kirche, so die Überzeugung des Historikers, steckten viele Anknüpfungspunkte für notwendige Reformen. Nun sei der Begriff aktuell etwas
„unter die Räder gekommen". Dabei sei Reform ein Wesensmerkmal der katholischen Kirche. Übersetzt heißt „Reform" etwas, das es schon einmal gegeben
habe, wiederherzustellen, also vergangene Modelle, Beispiele und Formen, die es schon einmal in der Kirche gab und die vergessen, unterdrückt und aus der
Mode gekommen sind, wiederzuentdecken. Die Kirche sei in ihrer Geschichte nie ein „monolithischer Block" gewesen. Einen „Einheitskatholizismus" gebe es nicht. Schon immer hätte es unterschiedliche Antworten auf wichtige Fragen gegeben, hätten Modelle nebeneinander existieren können, ohne die Einheit
der Kirche in Frage zu stellen. 

Gegen die Tradition wird eine Reform schwierig

„Kollege Papst" – für Hubert Wolf ist das kein Widerspruch. Die „Unfehlbarkeit des Papstes" gebe es als Dogma erst seit 1870. Die Strukturen des Vatikans und
der Kurie bräuchten Erneuerung, wobei ein Blick zurück in die Geschichte helfen könne: Um 1045 gibt es in Rom drei Päpste, was damals nicht ungewöhnlich
gewesen sei. Kaiser Heinrich III. macht dem ein Ende und setzt mit Clemens II. einen neuen Papst ein. Ihm stellt er ein Kollegium aus sieben Kardinalbischöfen,
zwölf Kardinalpriestern und sieben Kardinaldiakonen als Berater und eine Art Senat zur Seite. Ein Modell, das über die Jahrhunderte wieder verloren gegangen sei. Anstelle eines überschaubaren Gremiums sei eine immer größer gewordene Zahl an Kardinälen getreten, die sich nur einmal im Jahr trifft, und diverse Kongregationen. Die Rückkehr zu einem kleineren Kardinalsgremium, das regelmäßig tagt, könnten wir auch heute gut gebrauchen. Das von Papst Franziskus geschaffene „Achter-Gremium" ist für Hubert Wolf nicht die Lösung. Solange alle anderen bestehen blieben, sei es nur ein „Gegengremium". Wünschenswert wäre auch ein „ökumenisches Konzil". Ein Konzil, das über allen stehe, auch über dem Papst, was aber so seit dem I. Vatikanischen Konzil nicht mehr möglich sei, das dies umgekehrt habe. Eine Lösung dafür gebe es derzeit nicht. Dabei wäre dies auch der einzige mögliche Weg, einen dementen Papst absetzen zu können.

Anforderungen an einen guten Bischof

Papst Franziskus spreche immer wieder von „Subsidiarität". Etwas, das wir aus der katholischen Soziallehre kennen, aber bislang so nicht auf Kirche anwenden.
Für den Papst seien die Bischöfe die Nachfolger der Apostel und müssten daher auch die Probleme vor Ort lösen. Woraus sich die Frage ergibt: „Müssen wir
wirklich jede pastorale Frage in Rom entscheiden?" Oder auch die Ernennung von Bischöfen: Sollte nicht, wer allen vorsteht, auch von allen gewählt werden?
Dass der Papst Bischöfe frei bestimme, gebe es erst seit 1917, und ein Blick in die Geschichte zeige, auch dafür gibt es andere Modelle, die auf mehr Beteiligung der Herde eines Hirten setzten.

Ebenso dazu, was einen guten Bischof ausmacht. Im aktuellen Anforderungsprofil ist unter anderem die „treue Anhänglichkeit an die Lehre der Kirche" etwa im
Hinblick auf die Unmöglichkeit der Priesterweihe von Frauen, die Enzyklika „Humanae Vitae", das Tragen klerikaler Kleidung oder „marianische Frömmigkeit"
gefordert. Im ersten Brief des Timotheus heißt es dagegen: „Ein Bischof muss ein Mann ohne Tadel sein, nur einmal verheiratet, nüchtern, besonnen, ordentlich
(...), erfahren in der Lehre, kein Trunkenbold (...) und nicht geldgierig".

Ein weiteres, viel diskutiertes Thema: das Diakonat und die Weihe von Frauen. Das zu prüfen, sei historisch äußerst anspruchsvoll, erklärt Kirchengeschichtler
Wolf. Aber blickt man zurück, sieht man, dass es bis um 1000 in der Ost- und Westkirche Diakoninnen gab. Was schon notwendig gewesen sei, um erwachsene
Frauen mittels Untertauchen zu taufen. Manche mächtige Äbtissinen waren zudem in ihren Rechten und Aufgaben über Jahrhunderte Bischöfen quasi gleichgestellt. Ähnlichkeiten im Text der Weihe von Äbtissinnen und Bischöfen boten bis zum II. Vatikanischen Konzil zumindest Interpretationsspielräume. Erst mit dem neuen Pontifikale von 1970 wurde der Akt auf eine Einsegnung reduziert.

Wer also sage, „das war schon immer so", könne mit historischen Fakten zu interessanten Diskussionen herausgefordert werden. Es lohne, sich mit  vergessenen Traditionen auseinanderzusetzen und sie als Anregung für Reformen heute zu nutzen. Aus 2000 Jahren gebe es „ein reichhaltiges Büffet an Ideen und Beispielen für ganz viele Probleme", an dem wir uns nur bedienen müssten. „Wenn Menschen in der Kirche das nicht aufgreifen, ändert sich nichts, geht sie den Bach hinunter."