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Wie lässt sich gesellschaftlicher Zusammenhalt fördern? Ein euregionaler Austausch

Verbunden Nachricht (c) Christopher Hall/shutterstock.com
Verbunden Nachricht
Datum:
Di. 4. Apr. 2017
Von:
Thomas Hohenschue
Frieden in Europa – seit Jahrzehnten. Eine Währung. Freie Wahl von Wohnort, Arbeitsstelle, Ausbildung. Reisefreiheit. Besserer Verbraucherschutz.
Koen Quadrat (c) Thomas Hohenschue
Koen Quadrat

Und, und, und. Die Vorteile der Europäischen Union werden zum 60-Jährigen der Gemeinschaft besungen. Der Alltag hinter der Fassade sieht allerdings weniger rosig aus. Populisten schüren eine anti-europäische Stimmung. Teilweise sind sie bereits an der Macht, in großen Industrieländern streben sie danach.

Mit auf dem Spiel stehen neben dem friedlichen Zusammenschluss der Völker Europas andere Errungenschaften, vor allem eine Wertegemeinschaft. Es ist eine beachtliche Zivilisationsleistung, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf unserem Kontinent erbracht wurde. Immer mehr Staaten haben sich auf die universellen Menschenrechte verpflichtet. Der Kern dieser Vision ist eine zutiefst christliche: Allen Menschen kommt dieselbe, unantastbare Würde zu – und zwar unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrer politischen Überzeugung, ihres Geschlechtes.

Man kann darüber trefflich streiten, ob dieser Anspruch in der Wirklichkeit stets eingelöst wird. Aber nicht akzeptabel ist, wenn das Prinzip als solches in Frage gestellt wird. Nie wieder will man die Bevölkerung in Gruppen selektieren, mit unterschiedlichem Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit, auf soziale Sicherheit, auf demokratische Mitwirkung. Diese Lehre aus der Katastrophe des Nationalsozialismus hatte lange Bestand. Jetzt aber gerät sie unter Druck. Populisten hetzen gegen Minderheiten, ihre Politik läuft auf Ausgrenzung und Entrechtung hinaus. Bei der diesjährigen Euregionalen Ökumenischen Konferenz in Eupen suchten Seelsorger und weitere kirchlich Engagierte nach Erklärungen und Strategien, mit einer steigenden Entsolidarisierung und einer verrohenden Diskussionskultur in Deutschland, Belgien und den Niederlanden umzugehen. So unterschiedlich die Länder, ihre sozialen Systeme und kirchlichen Situationen sind, so sehr verbindet die skizzierte Entwicklung alle, die sich um den gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen. Was tun? Erste Antworten auf drängende Fragen.

 

Bei den Jüngsten fängt es an. Was lässt sich da machen? Ein Blick in die Niederlande.

Unser Nachbarland ist ein Einwanderungsland. Wir sind es auch, aber bekennen uns weniger deutlich dazu. Die Niederlande hingegen ziehen aus ihrer klaren Sicht der Dinge viele Konsequenzen – und machen uns nicht nur in ihrer Verkehrs- und Städteplanung, sondern auch im Umgang mit ihrer vielfältigen Bevölkerung etwas vor. Wenn Deutsche dafür offen wären, ließe sich vieles von den Nachbarn lernen. Etwa im Schulwesen. Schon vor etlichen Jahren hat sich in den Niederlanden das Fach Bürgerkunde etabliert, das weit mehr ist als unsere Staatsbürgerkunde. Weniger die demokratischen Institutionen und Verfahren stehen dort im Mittelpunkt als vielmehr, wie das Zusammenleben in unseren Städten und Dörfern gelingen kann. Es geht um ganz praktisches Einüben von Alltag, das große Vorzeichen ist Respekt, getragen von Vertrauen. Unterschiedlichkeit annehmen, aushalten, ja sogar als Bereicherung zu erfahren, ist das Ziel, das dem Fach zugrunde liegt. Keineswegs dürfe diese bewährte Arbeit an den Grundlagen eines friedlichen Zusammenlebens nun als Maßnahme gegen den Populismus vereinnahmt werden, warnt Koen Vossen, selbst Dozent für Bürgerkunde an einer Gemeinschaftsschule. Das würde das Gegenteil dessen fördern, was mit Bürgerkunde gewollt ist – es würde polarisieren, statt zu vermitteln. Ihm ist vielmehr wichtig, dass Bürgerkunde auf breitere Füße gestellt wird: „Auch Mathematik sollte Bürgerkunde sein.“

 

Was macht die Sprache mit uns? Was machen wir mit der Sprache?

Wenn es um Rechtspopulismus geht, landet man unweigerlich bei der Sprache. Das ist in Deutschland nicht anders als in Belgien und den Niederlanden. Überall hinterlassen populistische Provokationen Ratlosigkeit und Entsetzen. Überall kennt man Wutbürger an den Tastaturen von Computern und Smartphones. Überall kennt man Verschwörungstheorien, Vereinfachungen und Klischees, die über das Internet, auf der Straße, in der Kneipe, in der Familie ausgesprochen werden. Norbert Wichard beschäftigt sich leidenschaftlich gern mit Sprache. Und kann ihre Wirkung wie ein Chirurg sezieren. In Eupen hat der Referent aus dem Bischöflichen Generalvikariat Aachen das erneut getan. Und erzählt von der konstruktiven, verbindenden Kraft der sprachlichen Bilder. Und von ihrer zerstörerischen Kraft. Auf diese setzen Populisten, wenn sie Bevölkerungsteile gegeneinander ausspielen. Wo es etwa den Kirchen darauf ankomme, das Verbindende herauszustreichen, betone der Populismus das Trennende. Das sachlich zu entlarven, sei ein guter Anfang, um ein Umdenken anzustoßen.

 

Was können die Kirchen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten? Sind sie dazu in der Lage?

Wie kaum eine andere gesellschaftliche Kraft sind die Kirchen fähig und verpflichtet, Verbindungen zwischen Menschen zu fördern und zu stärken. Dieser festen Überzeugung ist Pfarrerin Karin van den Broeke. Die Präsidentin der Generalsynode der Protestantse Kerk in Nederland hat dafür mehrere Argumente zur Hand. Die Gemeinschaft ist ein Grundvollzug der Kirche, vielfach gelebt vor Ort, in Gotteshäusern, in Schulen und Kindergärten, in karitativen Einrichtungen. Die Gemeinden selbst können Ort der Verbindung sein, auch zwischen Milieus und Kulturen. Denn in ihre Gottesdienste und Gremien mischen sich Migranten. Sie leben halt hier. Kirche kann in der Gesellschaft glaubwürdig gegen die Botschaften des Populismus agieren, denn ihre Botschaft ist die der unbedingten Liebe Gottes zu allen Menschen dieser Welt. Wird diese Stimme denn noch gehört? So lautet die Frage, wenn sich das Gemeinwesen immer stärker säkularisiert. In den Niederlanden und in Belgien ist das schon weit fortgeschritten. Karin van den Broeke lässt sich da nicht entmutigen, benennt Beispiele, wo Kirche konkret gefragt ist, etwa beim Umgang mit Flüchtlingen. Die Wirkkraft sieht sie weniger als eine Frage der Größe und der Zahl als in der Kraft der eigenen Überzeugung: Wie stehen wir zu unseren Werten?

Wichard Quadrat (c) Thomas Hohenschue
Van den Broeke Quadrat (c) Thomas Hohenschue
Verbunden Quadrat (c) Christopher Hall/shutterstock.com
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