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Seelenwunden

Vorsorge: Krefelder webt an einem Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge mit

Trauma Nachricht (c) www.pixabay.com
Trauma Nachricht
Datum:
Di. 20. Juni 2017
Von:
Dorothée Schenk
Die Türe öffnet sich. Ein Licht geht an. Positives verbinden Menschen eigentlich damit. Es sei denn, die alltäglichen Vorgänge werden pervertiert, wie es Flüchtlinge unter Folter erleben.
Bering (c) Alexianer Krefeld GmbH
Bering

Dann bedeutet es: Peiniger kommen, Schmerzen, Demütigungen, Qualen verschiedener Art folgen. Solcherart traumatisierten Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind, in Diagnose und Behandlung richtig zu begegnen: Dafür setzt sich der Krefelder Psychotraumatologe Robert Bering ein und spinnt an einem regionalen Netzwerk mit.

„Die Grenzen, was Folter ist und was nicht, sind fließend. Das ist auch ein psychischer und zum Teil subtiler Druck“, erklärt der Fachmann und korrigiert damit das Bild im Kopf: Wunden sind immer sichtbar. Für Ärzte und für Menschen, die in den Erstaufnahmeeinrichtungen sofort nach Ankunft der Flüchtlinge beratend oder betreuend im Einsatz sind, sollten aber auch seelische Verletzungen erkennbar sein, um dann die zur Verfügung stehenden Behandlungspfade anbahnen zu können. Schießlich spielt im Asylverfahren der Nachweis von Folter eine entscheidende Rolle. „Dafür muss man Ärzte ausbilden, weil das nicht zur Routine gehört, sondern eher der Sonderfall ist.“ Das ist der eine Punkt, der zur Fachtagung „Folteropfer sehen – Versorgungspfade bahnen!“ im Frühjahr in Düsseldorf geführt hat, an welcher der Krefelder maßgeblich beteiligt war. Bering ist es wichtig, die Kooperationspartner zu sensibilisieren und vor allem auch die Struktur für Behandlungswege vorzubereiten, die sowohl dem Patienten als auch den behandelnden Ärzten hilft. Im Rahmen der Behandlung soll eine interdisziplinäre Verzahnung der psychosozialen, psychiatrischen, somatischen und psychosomatischen Behandlung funktionieren. „Dieser Ansatz ist bei uns deshalb so schwierig, weil wir ein gegliedertes Sozialsystem haben“, versucht der Arzt zu erläutern. „Der Finanzierungs- und Versorgungsweg ist hoch kompliziert.“ Beiträge aus der Renten-, der Krankenversicherung und den Kommunen ergeben gemeinsam die Behandlungsgrundlage. Hier ist ein aktueller Handlungsbedarf aus Ärztesicht. Wie groß ist aber die Schar der Betroffenen? Auf Nachfrage klärt Bering auf, dass er zwar 30 bis 40 Patienten in der Woche in der Klinik für Rehabilitation bei psychotraumatologischen Erkrankungen im Alexianer-Krankenhaus aufnehme, tatsächlich aber nur einer von 100 ein Flüchtling mit traumatischen Foltererlebnissen sei.

 

Traumatische Spätfolgen sind aus der Nachkriegszeit in Deutschland bekannt

Das überrascht den Laien – den Fachmann nicht. Es gilt: Nicht jedes Folteropfer hat eine posttraumatische Belastungsstörung. Und: „Wenn Sie traumatisierten Flüchtlingen begegnen, ist nicht das Erste der Behandlungswunsch ihrer Traumatisierung, sondern das Erste ist, dass sie eine Sicherheit in ihrem Aufenthaltsstatus bekommen.“ Hinzu kommt, dass in der Form von traumatisierender Folter, zu der alle Formen der sexuellen Demütigung gehören, Demütigung, die zum Ziel hat, die Person und deren Gesinnung zu brechen, die erste Reaktion Scham und Schuld und Verbergen ist. Und nicht das Zum-Arzt-Gehen. Dieses Schweigen geht nach der Erfahrung von Robert Bering so lange gut, bis es durch eine Grenzsituation aufgebrochen wird – also dann, wenn eine Integration lange schon erfolgt ist. Mögliche Auslöser können Arbeitslosigkeit oder ein Bruch in der Familie sein. „Womit wir rechnen, ist, dass die Flüchtlingsproblematik uns mit einer Verzögerung von 20 bis 30 Jahren mehr und mehr beschäftigen wird.“ Das ist der zweite Grund für die Tagung. Vorbereitungen treffen für die Zukunft. Das Phänomen ist bestens bekannt. Beispielsweise waren Flucht und Vertreibung aus den Ostgebieten im Nachkriegsdeutschland nicht Thema der 1960er Jahre, erklärt Bering, sondern Thema der 1990er Jahre.

 

Zur Heilung muss das Gedächtnis neu „beschrieben“ werden

„Früher hat man gedacht, Traumatisierung ist eine Komposition von Angst“, erläutert der Fachmann. „Heute würde man eher sagen, was unter Psychotraumatisierung passiert, ist, dass das Gedächtnis nicht in der Lage ist, die Unfassbarkeit des Erlebten richtig im Gedächtnissystem zuzuordnen.“ Darum käme auch immer wieder das Phänomen zum Tragen, dass durch sogenannte „Trigger“ (englisch „Auslöser“) die Traumatisierung wiedererlebt werde. Das Zentrum in Krefeld bietet seit dessen Gründung im Jahre 2001 eine spezifische Behandlung für Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) an. „Bei traumatisierten Folteropfern ist es so, dass der Differenzierungsprozess kaputt ist.“ Sie können in einer Situation – beispielsweise beim Betreten eines Zimmers durch eine Pflegekraft – nicht zwischen drohender Gefahr durch Folter und einer Sicherheit in der Realität unterscheiden.

Auch Bilder im Kopf lassen ein Körpergefühl entstehen, etwa von einer Bedrohung, die gar nicht da ist. Gleiches gilt für Schmerz, der erlebt werden kann, ohne dass der entsprechende auslösende Reiz dafür erfolgt. Bildlich beschreibt Robert Bering diesen Vorgang als Datei, die fehlerhaft ist und darum im System nicht geladen werden kann. „Was wir machen, ist, die Situation neu einzuschreiben.“ Mit diesem Neueinschreiben löst man die Patienten von den verschiedenen Mechanismen, unter denen sie so sehr leiden. Dazu gibt es verschiedene therapeutische Ansätze. Jetzt baut Robert Bering darauf, dass das Netzwerk in die Zukunft trägt und Ärzteschaft und Kooperationspartner durch Ausbildung und Angebote gut vorbereitet sind, um den traumatisierten Folteropfern zu helfen. Ein Baustein hierfür ist eine gezielte Schulung auch von Multiplikatoren wie Lehrern.

Interessierte können sich an das Zentrum für Psychotraumatologie der Alexianer Krefeld GmbH am Dießemer Bruch 81 wenden oder sich melden unter Tel. 0 21 51/3 34 72 00.

Trauma Quadrat (c) www.pixabay.com
Bahnschwellen (c) www.pixabay.com