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Schäbiger Alltag im Rotlicht

Lässt sich die Situation von Prostituierten verbessern, ohne Zwang, Gewalt und Ausbeutung zu verfestigen?

Prostitution Quadratisch (c) Manfred Körber (c) Manfred Körber
Prostitution Quadratisch (c) Manfred Körber
Datum:
Di. 28. Juni 2016
Von:
Thomas Hohenschue
Mit Romantik hat das Rotlicht wenig zu tun. Man muss nur das Blendwerk beiseiteschieben und genau hinschauen. Zum Beispiel in die Antoniusstraße in Aachen: 200 Frauen arbeiten dort. Meist leben sie sogar in den Zimmern, in denen sie ihre Freier bedienen.
Antoniusstraße Aachen (c) Manfred Körber
Antoniusstraße Aachen

Sanitäre Anlagen sind auf dem Flur. Von dem Geld, das sie verdienen, führen sie fast alles wieder ab. Kassiert werden Miete, Steuern, Passausleihe, Schutzgeld... Und der Zuhälter will mindestens 50 Prozent. Unwürdige, schäbige Zustände.

Wie lassen sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Prostituierten verbessern? Der Gesetzgeber hat das Thema seit rund zwei Jahrzehnten auf der Agenda. Zugleich haben Frauenhandel und Zwangsprostitution spürbar zugenommen. Vor allem die Osterweiterung der Europäischen Union nahm einen fatalen Einfluss. 45 Prozent der Frauen in der Antoniusstraße stammen aus Rumänien, 20 Prozent aus Albanien. Nur drei Prozent der Sexarbeiterinnen dort haben einen deutschen Pass.

In der Stadt Aachen gibt es Bestrebungen, das Thema anzupacken. Schon lange stockt die städtebauliche Entwicklung dieses Viertels unweit von Dom und Rathaus. Neuer Wohnraum soll her, neben Geschäftsimmobilien. Auch die Antoniusstraße soll für diese Zwecke geöffnet werden. Die Zone, in der Prostitution stattfindet, soll zu einem Laufhaus verdichtet werden. Um alle Interessen unter einen Hut zu bringen, sind komplexe Verhandlungen im Gang. Mit Haltung und sozialer Arbeit leistet die Beratungsstelle Solwodi ihren Beitrag. Mit ihr vernetzt bringen sich andere katholische Träger ein, wie Bistum und Katholische Hochschule. Sie fördern den Dialog. Denn nur, wenn man differenziert hinschaut, entwickeln sich gute Lösungen.

 

Die Oberstaatsanwältin

Wir leben in einem Rechtsstaat. Und so lässt sich gegen Frauenhändler und brutale Zuhälterringe nur etwas unternehmen, wenn gerichtsfeste Aussagen und Beweise vorliegen. Als Oberstaatsanwältin hat Jutta Breuer schon viele Prozesse geführt, auch mit veritablen Verurteilungen. Aber die Angst der Frauen vor der Gewalt der Hintermänner verhindert häufig eine erfolgreiche Beweisaufnahme. Daher glaubt sie auch nicht, dass das Laufhaus eine Lösung sein wird. „Sie werden das mit Frauen, die aus freien Stücken als Selbstständige tätig sind, alleine nicht bestücken können.“ Auch wenn man das Ganze „was schöner mache“, ändere das nichts an den brutalen Bedingungen, unter denen die meisten arbeiten müssten. Allein: Der Justiz fehlt die Handhabe.

 

Die Ordensschwester

Sie hat mit Solwodi eine Menschenrechtsorganisation gegründet, die sich vehement gegen den internationalen Frauenhandel einsetzt. So kann Sr. Lea Ackermann auch nicht gelassen bleiben, wenn ganz pragmatisch über bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen für Prostituierte gesprochen wird. Sie will ein entschiedenes „Nein“ des Gesetzgebers gegen Sexkauf. „Wenn wir Diebstahl und Mord verbieten können, warum dann nicht auch das?“ Für sie ist Prostitution die letzte Form der Sklaverei, die in Deutschland noch gesetzlich legitimiert wird. Und so sieht sie Entwicklungen wie die Einrichtung von Laufhäusern und anderen, als Wellness-Paradiese etikettierten Großbordellen als falsche Entwicklung. „Sie spielen damit den Zuhältern in die Hände.“

 

Die Sozialarbeiterin

Vertrauen ist alles, was zählt. Mit dieser Haltung suchen Roshan Heiler und ihre Kolleginnen die Frauen in der Antoniusstraße auf. Beharrlich bietet das Team Beratung an, kann in sozialen und medizinischen Fragen helfen. Im Fall des Falles organisieren Heiler und ihre Mitstreiterinnen kurzfristig Schutz und unterstützen beim Ausstieg. Dabei sind den Frauen von Solwodi ganz klar Grenzen gesetzt. „Wir sind keine Bedrohung für die Zuhälter“, sagt Heiler offen. „Wir haben ihnen nichts entgegenzusetzen.“ Und da muss man nicht alleine an den klassischen Schläger denken, der einen mit einem Arm hochheben kann. Sondern auch und vor allem an die Gewalt, die den Familien der Prostituierten im Ursprungsland droht.

 

Die Kommunalpolitikerin

Ursula Becker ist Feuer und Flamme für die Veränderungen, die in der Antoniusstraße angestrebt werden. Die Mitarbeiterin der Aachener Ratsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen leitet den Arbeitskreis Prostitution des Frauennetzwerkes Aachen. Dort hat man sich viele Gedanken gemacht, wie die Lage der Prostituierten verbessert werden kann. Und sieht in einem Laufhaus, das würdige Standards bietet, einen gangbaren Weg. Der Arbeitskreis hätte es als unfair empfunden, wenn man im Zuge der städtebaulichen Entwicklung die Frauen aus der Antoniusstraße vertrieben hätte, sagt Becker. Sie setzt auf Beratung und Hilfe, wie sie Solwodi in vorbildlicher Weise leistet. Deshalb soll die Organisation künftig fest vor Ort sein – nach Möglichkeit gleich im Laufhaus.

 

Der Kommissar

Der Polizei sind häufig die Hände gebunden. Solange keine Straftat zur Anzeige gebracht wird, kann sie nichts tun. Selbst wenn der Augenschein etwas anderes nahelegt. Wenn eine betroffene Frau versichert, ihre blauen Flecken kämen von einem Treppensturz, können die Beamten nichts tun. Das sind die Realitäten, mit denen Uwe Breuer umzugehen hat. Er leitet den Bereich Menschenhandel und Prostitution im Aachener Polizeipräsidium. Dieser ist im Normalfall nur mit eineinhalb Stellen ausgestattet. Allerdings: Sobald es grünes Licht für Ermittlungen gibt, wegen konkreter Hinweise, kommt rasch Verstärkung. Denn an das Recht gebunden zu sein, heißt keineswegs, im Fall des Falles handlungsunfähig zu sein.

 

Der Baudezernent

Es gibt sexuelle Bedürfnisse, die werden seit jeher professionell befriedigt. Das ist für Werner Wingenfeld eine Tatsache, welche städtische Planung zu beachten hat. Aber aus der Schmuddelecke möchte der Baudezernent der Stadt Aachen die Prostitution in der Antoniusstraße schon herausholen. Von daher ist für ihn das Laufhaus, Arbeitstitel „Lusthaus“, der richtige Weg. Die unwürdigen Verhältnisse, wie sie zurzeit in den alten Häusern herrschen, sollen der Vergangenheit angehören. Über Auflagen könne das ein oder andere geregelt werden, auch vor dem Hintergrund des nahenden Prostitutionsschutzgesetzes. Allerdings gelte auch der Bestandsschutz: eine rechtliche Barriere, die alles schützt, was schon da ist. Eine weitere Tatsache, die Wingenfeld zu beachten hat.