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Respektvoll diskutieren

Bischof Overbeck sieht Menschenwürde als oberstes „Zielgut“ in der Demokratie – auch für Christen

Demokratie und Christen Nachricht (c) Garnet Manecke
Demokratie und Christen Nachricht
Datum:
Mi. 20. Juni 2018
Von:
Garnet Manecke
Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck sprach bei den Sozialethischen Gesprächen in Mönchengladbach über die Anfechtungen der Demokratie als Herausforderung für die Christen.
Bischof Overbeck (c) Garnet Manecke
Bischof Overbeck

Ängste solle man ernst nehmen, betonte er. Allerdings nur auf sie zu reagieren, sei kein guter Weg. Overbeck plädierte für einen offenen Dialog und eine respektvolle Diskussionskultur.
Die Situation in Europa ist ein gefährlicher Nährboden für nationalistische Kräfte. Franz-Josef Overbeck zeigte das mit einem Blick in die deutsche Historie: In der Politik zeigt sich eine schwindende Kompromissbereitschaft der Akteure, populistische Parteien erstarken, ziehen in Parlamente und Regierungen ein. Darauf zu hoffen, dass sie sich in dieser Position entlarven und die Bürger so die wahre Absicht hinter den Parolen der Populisten erkennen, habe sich schon 1933 als Irrtum erwiesen. Damals dachten die Regierungsparteien, sie könnten Hitler und seine Partei mit einer Regierungsbeteiligung einrahmen und so demaskieren. Wenn Overbeck auch klar sagte, dass die heutige Situation keineswegs so sei wie damals, so gebe es doch einige Parallelen. Overbeck ist Bischof von Essen und Vizepräsident der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union (COMECE), die zusammen mit der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle zu den Sozialethischen Gesprächen einlädt. „Zu den Entwicklungen konnte es 1933 kommen, weil sich die Parteien nicht mehr auf einen Kompromiss einigen konnten und die soziopolitischen Probleme ungelöst blieben“, analysierte er. Erst hätten die Bürger in der Weltwirtschaftskrise ihr Erspartes verloren, dann ihre Arbeit und schließlich das Vertrauen in die Kräfte der Demokratie, die nicht in der Lage war, die Probleme zu lösen. Mangelndes Vertrauen der Bürger ist die größte Gefahr für eine liberale Demokratie.

 

Empfundene Ungerechtigkeit ist Gefahr

„Es bedarf für eine funktionierende Demokratie nicht nur einer parlamentarischen Demokratie, sondern auch einer wirtschaftlich-sozialen Teilhabe“, betonte Overbeck. „Wenn hier Ungerechtigkeit empfunden wird, ist das eine Gefahr für die Demokratie.“ Wann diese Grenze überschritten sei, könne von Land zu Land anders sein. Dass zwischen sozioökonomischen und politischen Verwerfungen ein Zusammenhang bestehe, zeigten die Wahlergebnisse in Italien deutlich. „Auch die Kirche und alle Christen müssen sich herausgefordert fühlen,  wenn es um Demokratie geht“, betonte Overbeck. In der historischen Perspektive sei das positive Verhältnis zwischen Kirche und Demokratie keine Selbstverständlichkeit – vor allem nicht in Europa. Der Verdacht, die Demokratie würde Individualismus und Relativismus Vorschub leisten und gefährde so die biblische und die natürliche Ordnung, sei nicht nur eine historische Anmerkung, sagte Overbeck. „Solche Argumente werden auch heute ins Feld geführt, vorzugsweise wenn es darum geht, gegen die Europäische Union Stimmung zu machen. Die Vertreter verstehen sich dabei als besonders christlich. Das gilt für die Führungsfiguren der polnischen Pis-Partei, von denen die meisten praktizierende Katholiken sind, das gilt auch für Viktor Orbán, der ein überzeugter Calvinist ist.“

Auch innerhalb der Kirche gäbe es Meinungen und Diskussionen, die von denen im politischen Raum gar nicht so sehr verschieden seien. In der europäischen Bischofskonferenz gebe es eben auch osteuropäische und nicht-osteuropäische Bischöfe, die Fragen wie die Aufnahme von Flüchtlingen aus muslimischen Ländern unterschiedlich beurteilten. Die Motivation hinter dem in Europa erstarkenden Widerstand gegen Einwanderung sei oft Angst vor gesellschaftlichen Umbrüchen. Die Menschen würden von Zukunftsängsten geplagt – nicht nur von konkreten und berechtigten, sondern auch von diffusen. Auch die seien nicht nur absurde Ängste und müssten ernst genommen werden. „Aber Angst ist kein guter politischer Ratgeber“, betonte Overbeck. „Ich würde mir wünschen, dass es die innere Haltung ist, in der sich Christen in und für die EU engagieren, und nicht Angst. In einer Zeit, in der Zäune hochgezogen werden, sollten sich Christen für Solidarität und Offenheit einsetzen.“

 

Die EU startete als Friedensprojekt

Das erfordert eine offene und respektvolle Diskussionskultur. Denn über den richtigen Weg könne es durchaus unterschiedliche Meinungen geben. „Unsere Aufgabe ist es, Antworten zu finden“, sagte Overbeck. Dabei stützte er sich auf Papst Franziskus’ Worte: „Ich beurteile eine Person nicht, ohne ihr zuzuhören. Es gibt immer Türen, die offen sind. Dazu gehört gegenseitiger Respekt und die Bereitschaft, sich gegenseitig offen die Meinung zu sagen. Der Frieden ist ein Handwerk, man macht es jeden Tag.“ Der Essener Bischof erinnerte daran, dass die Europäische Union einst als Friedensprojekt angefangen hat und bis heute oft als solches auch so gesehen wird. „Und das völlig zu Recht“, betonte er. Die Menschenrechte bezeichnete Overbeck als oberstes „Zielgut“, für das sich die Christen einsetzen müssten. 

Bischof Overbeck (c) Garnet Manecke