Braunkohle
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Flüchtlinge
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Kolumbien
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Lebendige Kirche
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Reif für den Frieden

Kolumbiens Gesellschaft begibt sich auf den steinigen Weg der Versöhnung

Mussinghoff Original (c) CCN-Kolumbien/AGEH
Mussinghoff Original
Datum:
Di. 11. Apr. 2017
Von:
Bischof em. Heinrich Mussinghoff
Erinnerung, Wahrheit und Gerechtigkeit im Umgang mit gewaltbelasteter Vergangenheit – Lernen im Licht der kolumbianischen Erfahrungen“: Ein internationaler Workshop im Gästehaus der Bischofskonferenz in Bogotá gab Einblicke in Aufgaben des Friedensprozesses.
Mussinghoff Quadrat (c) CCN-Kolumbien/AGEH
Mussinghoff Quadrat

Ich bin sehr dankbar für die Erfahrung des Lernens unter dieser Bürde langer, extrem gewaltbelasteter Vergangenheit. Wir wollten hören, sehen und spüren, was diese Menschen erlitten haben, unsere Solidarität bezeugen und die Herausforderungen mit Herz und Verstand bedenken. So trafen wir Opfer und Täter der Gewalt und Akteure des Friedensprozesses. Unsere Mission war es, die Herzen und das Denken der Betroffenen des Konflikts zu spüren und zu ermitteln, wie wir Hoffnung teilen und das Werk eines dauerhaften Friedens und eine tragfähige Versöhnung fördern können. Wir fuhren nach Quibdó am Rio Atrato nahe der Pazifikküste, wo 80 Prozent der Einwohner Nachkommen afrikanischer Sklaven sind. Ihr Land wird ausgebeutet durch fremde Unternehmen, die vor allem Gold schürfen. Wir begannen in einer Kapelle, in der an den Wänden hunderte von Bildern und Namen der Ermordeten hingen und in der wir mit den Opfern brutaler Gewalt beteten. Sie erzählten von ihrem schrecklichen Leid durch den Verlust von Männern und Frauen, Vätern, Großvätern und Kindern. Ihre Herzen waren verstört durch den Verlust ihrer Lieben, ermordet, massakriert und verschwunden. Ihre Tränen und ihr stummes Leid sind mir tief zu Herzen gegangen.

Sie werden ein bleibender Impuls meines Denkens und Handelns und unserer Solidarität sein. Ihr Mut, ihre demütige Geduld und ihre feste Bereitschaft, mitzuarbeiten an einer besseren Zukunft für ihre Kinder und für die Zukunft künftiger Generationen, haben uns inspiriert und Hoffnung gegeben. Einige Opfer bleiben tief traumatisiert, andere sind auch als Überlebende des Konflikts ganz für ihre Familie da, betreiben kleine Geschäfte und setzen sich sogar ein im Kampf für Wahrheit und Menschenrechte. Wir haben auch gesehen, wie für die Opfer im Dunkel ihres Leids der christliche Glaube zum Licht wurde. Dieselbe geistliche Energie muss alle inspirieren, die in der Arbeit für Frieden und in der Aufgabe engagiert sind, eine neue Vision des Friedens für die Zukunft zu entwerfen. Die Bereitschaft der Kämpfer auf allen Seiten des Konfliktes, ihre Waffen nieder zu legen und mit ausschließlich friedlichen Mitteln nach Lösungen der Konflikte zu suchen, wird entscheidend für den Friedensprozess sein. Wir wissen die Bereitschaft derer zu schätzen, die auf verschiedenen Seiten im Konflikt involviert waren und die nun ihre Erfahrungen mit uns teilen.

Beim Treffen mit ausgeschiedenen Militärs und der Polizei erfuhren wir etwas über ihre Vorstellungen von Frieden und hörten mit Respekt ihre Sorgen und Kritikpunkte zum laufenden Friedensprozess. Wir anerkennen den tragischen Verlust von Leben, den auch sie und ihre Familien erlitten haben. Wir respektieren die ausschlaggebende Rolle, die die gegenwärtige Leitung des Militärs und der Polizei im Friedensprozess spielen und bitten sie, sich weiter daran zu beteiligen, einen Weg für eine neue friedvolle Zukunft zu bahnen und den weiteren Verlust von Leben zu verhindern. Wir besuchten die Täter des Konflikts im Hochsicherheitsgefängnis. Wir hörten, wie alle in unserer Runde erklärten, ihre Waffen niederzulegen und ihren Kampf einzig mit politischen Mitteln fortzusetzen, als Partei oder als gesellschaftliche Gruppe. Wir hörten ihre Vorbehalte gegenüber der Durchführung des Friedensabkommens und erfuhren von den möglichen Risiken, die sie betreffen. Allen, die bereit sind, die Waffen niederzulegen, bieten wir unsere Unterstützung dabei an, ihren Weg mit friedlichen Mitteln und zu friedlichen Zielen zu gehen.

An die ELN und alle, die diesen Schritt noch nicht mitgemacht haben, appellieren wir, sich vom aussichtslosen Weg der Gewalt abzukehren, der nur zu weiterem Schmerz und Leid führen kann, und ernsthafte Verhandlungen mit der Regierung aufzunehmen. Gewalt zerstört das soziale Gefüge der Nation und schwächt die politischen Institutionen. Die Soziallehre der katholischen Kirche lehrt uns, dass Friede mehr ist als Ab-wesenheit von Krieg. Mit Blick auf die heutige kolumbianische Gesellschaft heißt das: Friede ist viel mehr als Entwaffnung. Die Umsetzung eines Friedensabkommens ist ein kritischer Schritt. Der Friede wird dauerhaft und der Prozess erfolgreich sein, wenn alle sich zur Erfüllung des Abkommens verpflichten und es im Leben der Gesellschaft umsetzen. Mit diesem Fokus verbrachten wir einen Tag mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, die an den Aufgaben von Frieden, Gerechtigkeit, Wahrheit und Erinnerung arbeiten. Wir haben Menschen getroffen, die unermüdlich an einer politischen Lösung der Probleme Kolumbiens arbeiten. Mutig ignorieren sie die Risiken in einem Konflikt, bei dem schon tausende von gesellschaftlichen Führungskräften ermordet wurden. Wahrer Friede kann nur erreicht werden durch aktive Inklusion der am meisten verwundbaren Minderheiten in Kolumbien. Wir hörten aus vielen Teilen der Gesellschaft den Appell, dass jetzt wirklich für die Kirche der Moment gekommen ist, Leadership zu zeigen. Wir ermutigen alle Glieder der kolumbianischen Kirche, mit Energie und Verantwortungsbewusstsein gegenüber ihrer christlichen Berufung Werkzeuge von Gottes Frieden zu sein.

In Kolumbien herrscht große Vorfreude auf den Besuch von Papst Franziskus im September. Man hofft und erwartet, dass er eine Gesellschaft vorfindet, die sich verbindlich auf den Weg der Versöhnung verpflichtet. Während dieser Tage haben wir eine Gesellschaft gesehen, die für den Frieden reif ist. Wir haben gastfreundliche und großzügige Menschen getroffen, die sich ganz in den Dienst einer besseren Zukunft für die kommenden Generationen stellen. Obwohl die meisten von denen, die wir getroffen haben, in ihrem ganzen Leben nie Frieden erlebt haben, sehen wir hoffnungsvolle Zeichen, dass die Vision von Frieden und Versöhnung endlich Gestalt annimmt. Über allem steht die Anerkenntnis, dass die gegenwärtigen Herausforderungen der kolumbianischen Gesellschaft einzig durch friedliche Mittel gelöst werden können und dass die zerstörerischen Zirkel der Gewalt enden müssen. Möge die Kolumbienpartnerschaft unseres Bistums den Prozess für Frieden und Versöhnung weiter hilfreich unterstützen. Dafür beten wir, dafür setzen wir uns ein.

Kolumbien-Workshop (c) CCN-Kolumbien/AGEH