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Flüchtlinge
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Kolumbien
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Lebendige Kirche
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Entschlossen gegen die Angst arbeiten

Flüchtlinge: Fachleute empfehlen eine offene Gesprächskultur

Willkommenskultur (c) Thomas Hohenschue
Willkommenskultur
Datum:
Di. 12. Apr. 2016
Von:
Thomas Hohenschue
Bedroht die Zuwanderung von Flüchtlingen unsere Identität? Nehmen sie uns die Wohnungen weg? Die Arbeit? Unsere Sicherheit? Unsere Zukunftsaussichten?
Willkommenskultur (c) Thomas Hohenschue
Willkommenskultur

Die Debatte heizt sich auf, populistische Parolen verfangen, schlagen sich in Wählerbewegungen nieder. Gleichzeitig brennen Flüchtlingsheime und erfahren Flüchtlingshelfer Drohungen und Gewalt. Zeit für einen ernsthaften Dialog.

Normalerweise hilft bei vielen sozialen Fragen ein Blick über die Grenze, um für unseren Alltag hier in Deutschland zu lernen, wie es besser gehen kann. Momentan scheint es aber so, als ob sich die Probleme und auch der Umgang damit durchaus ähneln. Diesen Eindruck musste zum Beispiel gewinnen, wer die diesjährige Euregionale ökumenische Konferenz besuchte und die Schilderungen aus den Nachbarländern Belgien und Niederlanden hörte. Überall fordern die Erstaufnahme und die Integration von Flüchtlingen die angestammte Bevölkerung, die Politik und die Verwaltung sowie die Kirchen heraus. Und überall herrscht ein zum Teil menschenverachtender Ton in der Debatte.

Umgekehrt erbrachte der Erfahrungs- und Meinungsaustauch in Herzogenrath aber auch die Erkenntnis: Die ganze Sache ist eine europäische Aufgabe, aber nicht nur auf Ebene der nationalen Regierungen und der Brüsseler Administration. Sondern wir alle sind gefordert, in den Kommunen, in unseren Vierteln und in unserem persönlichen Verhalten. Und als Christen haben wir dabei das Evangelium auf unserer Seite. Intensiv mit dem Thema beschäftigt hat sich zum Beispiel Yves De Maeseneer. Er ist als Professor an der Löwener Katholischen Universität tätig. Und kann sehr genau nachzeichnen, was die gestiegene Zuwanderung bei vielen Mitbürgern auslöst: Angst. Von dieser Angst getrieben, entfalten Klischees ihre Kraft, werden Flüchtlinge zu Sündenböcken für längst vorhandene soziale Probleme wie Wohnungsnot, Kriminalität, Arbeitslosigkeit. Dass inzwischen auch Regierungen auf Abschottung und Abschreckung setzen, unterläuft die große Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen, wie sie überall zu beobachten ist. Und setzt so einen Kreislauf der Angst in Gang, auch bei den Flüchtlingen selbst.

 

Schon zu biblischen Zeiten war Migration im Alltag präsent

Was tun? „Angst ist eine normale menschliche Reaktion auf etwas, das als bedrohlich erfahren wird für etwas, das uns lieb und teuer ist,“ sagt De Maeseneer. Vorsicht, gut dosiert, sei gesund, aber eine Überdosis führe dazu, dass Sicherheit zur zentralen Tugend erhoben werde. Die Vermeidung vermeintlicher Risiken, die von anderen, fremden Menschen ausgehen könnten, überlagert in dieser Situation andere Werte gelingenden Zusammenlebens. „Dann erscheint die radikale Liebe, zu der uns das Evangelium aufruft, als unverantwortliches Risiko“, stellt der Theologe fest. Und sucht Auswege aus der Abwärtsspirale ebenfalls im Buch der Bücher. Dabei entdeckt er aussagekräftige Texte und Bilder. Das Gebot „Liebe den Fremden wie dich selbst“ findet sich im Alten Testament gleich 36 Mal, im Gegensatz zum Gebot „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, das nur einmal formuliert ist. Für De Maeseneer ein Hinweis darauf, dass Migration schon zu biblischen Zeiten ein wichtiger Bestandteil des Alltags war.

 

Eine Kultur war noch nie statisch, jede Nation kennt fremde Einflüsse

In der Heiligen Schrift berichten einander ergänzende Gleichnisse von den Spannungen, die sich seit jeher zwischen fremder und eigener Identität ergeben. Wenn der Professor dann einen Brückenschlag wagt zur heutigen Debatte, hat er mehrere Empfehlungen zur Hand, mit deren Hilfe die Angst überwunden werden kann auf dem Weg zu einem neuen Klima von Vertrauen und Solidarität. Der erste und wichtigste Schritt sei dabei: die Ängste miteinander teilen, im offenen Austausch, in der Begegnung, unter Einheimischen, mit Migranten. „Deine Angst ist meine Angst“, lautet der eingängige Gedanke, der davon ausgeht, dass ein gegenseitiges Wahr- und Ernstnehmen gute Beziehungen und Frieden stiftet.

De Maeseneer lädt zu einer weiteren Konfrontation ein, welche einen Beitrag zur Versachlichung leisten könne: Jede Nation habe eine Geschichte, die sich aus Wanderungsbewegungen speist: „Wir sind selbst ein Volk von Migranten“, wie es bei einer Ausstellung in Antwerpen treffend heißt. Insofern sei eine nationale Identität ohnehin etwas, das ständig im Fluss sei, greift Mussié Mesghinna vom diözesanen Caritasverband den Faden auf. Es gebe keine statische Kultur, heute weniger denn je angesichts der Globalisierung. Bei allen Unterschieden gelte: „Die Kulturen haben miteinander eine Verbindung.“ Er kenne zum Beispiel keine Flüchtlinge, die nicht entsetzt über die Kölner Vorfälle in der Silvesternacht seien. Sexuelle Belästigung sei auch in den Herkunftsländern und ihren Kulturen tabu. „Aber wissen das die Deutschen?“, fragt Mesghinna mit Blick auf die schlimmen Klischees, die kursieren.

Das Einzige, das hilft, ist offensichtlich: kommunizieren, kommunizieren, kommunizieren. Als Kronzeugin für diesen Ansatz lässt sich die Bürgermeisterin des niederländischen Ortes Beesel (nahe Roermond) nennen. Mit viel Zivilcourage hat Petra Dassen-Housen gegen alle Widerstände und persönliche Anfeindungen durchgesetzt, dass übergangsweise Flüchtlinge in einer Turnhalle einquartiert wurden. An ihrer Seite waren zahlreiche Helfer und, da es gut lief, auch der Gemeinderat. „Wenn man nur ein gutes Gespräch führt, kann man viel erreichen“, ist das Resümee der unerschrockenen Bürgermeisterin, die sich klar bekennt: Eher gebe sie ihr Amt auf als ihre Haltung. Sie macht ungeachtet des unsachlichen Hasses, der ihr teilweise begegnet, deutlich: Auch mit den Gegnern ist der Kontakt und der Austausch zu suchen, so schwer das teilweise auszuhalten sei. Das ist für sie gelebte Demokratie und für sie der Weg, die Debatte um die Flüchtlinge endlich auf die wirklich wichtigen Fragen zu reduzieren: Wie schaffen wir eine menschenwürdige Erstversorgung, und wie gelingt im zweiten Schritt die Integration?