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Lebendige Kirche
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Der Blickwinkel zählt

Die Zukunft der Bistumsregionen als Scharnier zwischen Diözese und Gemeinden wird rege diskutiert

Mittlere Ebene (c) Garnet Manecke
Mittlere Ebene
Datum:
Di. 18. Okt. 2016
Von:
Garnet Manecke
Die Erwartungen und Hoffnungen an den neuen Bischof Helmut Dieser sind vielfältig. Die Stärkung und Unterstützung der mittleren Ebene steht bei den Menschen im Bistum weit oben auf der Liste, wenn man nachfragt.
Karte Bistum Aachen (c) www.sensum.de
Karte Bistum Aachen

In vier der acht Regionen ist die Stelle des Regionaldekans seit mindestens einem Jahr vakant.  Welche Auswirkungen hat das? Welche Bedeutung hat die mittlere Ebene für die Menschen im Bistum? Eine Suche.

Der Katholikenrat der Region Heinsberg bereitet sich schon jetzt auf Gespräche mit Helmut Dieser vor. „Wir wollen eine Position haben, wenn die Gespräche anfangen“, sagt Lutz Braunöhler, Vorsitzender des Katholikenrats der Region Heinsberg und des Diözesanrats der Katholiken. Denn es gilt, die Bedeutung der mittleren Ebene für die Region deutlich zu machen. Seit August 2015 gibt es hier keinen Regionaldekan mehr, damit ist Heinsberg die vierte Region, in der die Position frei geblieben ist. In Aachen-Land ist sie seit Januar 2015 vakant, Aachen-Stadt hat seit Juli 2013 keinen Regionaldekan mehr und Krefeld sogar seit 2010 nicht mehr. 

„Das Gesicht der katholischen Kirche leidet darunter, dass es keinen Regionaldekan gibt“, sagt Braunöhler. Zwar seien die Aufgaben, die zwingend ein Priester übernehmen müsse, in der Region Heinsberg auf Geistliche verteilt worden. Aber es gebe zum Beispiel keinen adäquaten Ansprechpartner für den Landrat. Mit Blick auf die Zukunft machen sich Diözesanrat und Katholikenrat so ihre Gedanken. Denn auch im Bistum ist der Priestermangel zu spüren und die, die da sind, sind schon ausgelastet. 

Zudem kommt bei einer ländlichen Region wie Heinsberg dazu, dass die Bedürfnisse der Gemeinden sehr unterschiedlich sind. „Wegberg ist ganz anders aufgestellt als Übach-Palenberg“, sagt Braunöhler. „Im Diözesanrat haben wir das abgeklopft und sind sehr schnell dahin gekommen, dass wir uns von kirchlichen Strukturen lösen und auf die Inhalte schauen müssen: Was kann ein Laie machen? Was muss ein Priester machen? Was können die Gremien machen?“ Wie die Antwort darauf ausfällt, ist derzeit noch nicht klar. Das liegt vor allem daran, dass es sehr schwierig ist, überhaupt eine Antwort zu finden. Kirche ist auch im Bistum Aachen im Umbruch – nicht nur wegen des Bischofswechsels. Wer auf der Suche nach einer Lösung ist, stößt bei den unterschiedlichen Voraussetzungen von Stadt und Land auf erste Hürden. 

Die Region Heinsberg sei ein großes Gebiet mit weiten Entfernungen, sagt Joachim Hoeps, Geschäftsführer des Regionalpastoralrats Mönchengladbach und Heinsberg. „In Mönchengladbach sind es von einem zum anderen Ende etwa 17 Kilometer.“ Anders in der Region Heinsberg: Der Selfkant ist von Wegberg 44 Kilometer entfernt. „Was haben die miteinander zu tun?“, fragt Hoeps. Die Identität in der Region Heinsberg bestehe darin, dass die GdG vergleichbare Herausforderungen hätten: Priestermangel und das Kirchliche Immobilienmanagement. Als Beispiel nennt Hoeps die Jugendkirchen. Hier wird der Unterschied der Erreichbarkeit über GdG-Grenzen hinweg deutlich: Während die Jugendkirche in Mönchengladbach in der Stadtmitte liegt und gut von den Gemeinden drumherum zu Fuß oder per Rad zu erreichen ist, ist die Distanz vom Selfkant nach Hückelhoven zur Factory Church nicht so leicht zu überwinden. 

Drei Aufgabenbereiche nennt Pfarrer Rolf-Peter Cremer, Leiter Hauptabteilung Pastoral, Schule und Bildung im Generalvikariat, als Schwerpunkte für die mittlere Ebene: Repräsentation der Kirche auf Regionalebene, die liturgische Bildung und Qualifizierung von Ehrenamtlichen und die Leitung und Repräsentanz für die pastoralen Aufgaben der Region zusammen mit dem Regionalpastoralrat. Daneben gibt es weiterhin den Regionalen Katholikenrat, der für die Vertretung des Laienapostolats selbstständig wirkt. Mit Blick auf die Entwicklung der Gemeinschaft der Gemeinden (GdG) müsse gefragt werden, welche Rolle die Region in Zukunft spiele, wenn die GdG sich immer mehr festigen, sagt Cremer. „Die Frage ist, welche Aufgaben neu definiert werden müssen. Die GdG sind zum Teil selbst so stark, dass sie zum Beispiel sagen ,Wir können die Ausbildung und Begleitung bestimmter ehrenamtlicher Dienste selbst wahrnehmen’.“ 

Ein Punkt, der für Laila Vannahme für die mittlere Ebene spricht. „Nur weil es ein paar GdG gibt, die glücklicherweise sehr stark sind, kann man ja die anderen GdG nicht außen vor lassen“, sagt sie. Vannahme ist Mitglied des Vorstands des Regionalen Pastoralrates der Region Aachen-Stadt. Wichtig sei die Vernetzung, betont sie. „Wir müssen alle mit ins Boot holen. Christsein heißt ein Miteinander in einer Gemeinschaft – auf Augenhöhe.“ 

Wobei Vannahme auch einige andere starke Argumente für die dritte Ebene nennen kann: Innovationen, schnelle Reaktionen auf örtliche Veränderungen und kreative Lösungen zum Beispiel. „Das Bistum muss immer bistumsweit denken. Die mittlere Ebene hat in einer überschaubaren Region Aufgaben im Blick, die sich auf pastorale Belange und Aktionen beziehen“, erklärt Vannahme. Die Nähe zu dem Ort, an dem Menschen ihren Glauben leben, ist ihr großes Plus. So können Befindlichkeiten und Nöte, Defizite und Chancen schnell wahrgenommen werden. Der rege Austausch zwischen den Gremien, Organisationen und den Menschen in den Gemeinden führe oft zu neuen Ideen, sagt Vannahme. Ein Beispiel dafür ist die Nutzung von St. Josef in Aachen als Grabeskirche – die Idee für die Umnutzung der Kirche entstand in einer kleinen Runde in einem Wohnzimmer. Anfangs mitunter kritisiert, entwickelte sich diese Innovation zu einem Erfolgsmodell, das auch in anderen Regionen umgesetzt wird. „Neue Ideen entstehen vor Ort und nicht 50 Kilometer weiter“, sagt Vannahme mit Blick auf die räumliche Distanz anderer Regionen zu Aachen. 

Die effiziente Vernetzung ist ein Plus für die Ebene der Regionen 

Die effiziente Vernetzung sieht Holger Brantin, Katholikenrat Aachen-Stadt, als einen zentralen Punkt. Das Familienferienprojekt für Kinder aus finanzschwachen Familien, die Flüchtlingsarbeit in den Regionen, die Aktionen gegen Rechts: „Das alles zeigt, dass man auf die Regionen schauen muss“, sagt er. „Das muss aber nicht unbedingt ein Priester sein, das können auch Laien.“ Damit Laien die Lücke, die die fehlenden Priester hier hinterlassen, adäquat ausfüllen können, plädiert Brantin dafür, ihnen für die Aufgabe die gleichen Machtbefugnisse zu geben, wie sie Priester haben. 

Einen möglichen Verzicht auf die dritte Ebene sieht Brantin nicht. „Wer will sich in Aachen-Stadt um die Flüchtlinge kümmern? Wie sollen die Arbeitslosenprojekte bistumsweit gesteuert werden?“, fragt er. „Das System Kirche wäre dann im Bistum ineffizient.“ Brantin hofft darauf, dass Dieser den von Mussinghoff eingeschlagenen Weg weitergeht. Unter letzterem haben Laien auch in einigen Gemeindeleitungen eine stärkere Verantwortung und Position bekommen. 

Der Job des Regionaldekans ist nur zu machen, wenn man Kompetenzen abgibt 

Ohne tatkräftige Unterstützung könnte er sein Amt als Regionaldekan gar nicht ausüben, sagt Ulrich Clancett. Der 52-Jährige ist Regionaldekan der Region Mönchengladbach. Den Kern seiner Aufgabe sieht er in der Brückenkopffunktion zwischen Region und Bistum. „Wir haben einen anderen Blickwinkel auf die Dinge“, sagt Clancett. Während er im Bistum die Region vertrete, werde er in der Region als Repräsentant des Bistums wahrgenommen. Allerdings sieht Clancett auch Grenzen: „Den Job kann ich nur machen, weil ich Kompetenzen abgeben kann“, stellt der leitende Pfarrer der GdG Jüchen klar. „In meiner Gemeinde nehmen die Leute auch Dinge selbst in die Hand.“ Ehrenamtler müssten Verantwortung übernehmen, wenn Kirche vor Ort funktionieren solle. 

Wie es mit der mittleren Ebene weitergeht, bleibt abzuwarten. „Wir haben im Bischöflichen Generalvikariat kein Papier in der Tasche, aus dem hervorgeht, wie die Arbeit der drei Ebenen zukünftig organisiert wird“, sagt Cremer. „Das sollte der Bischof, wenn er sein neues Bistum kennengelernt hat, mit den Verantwortlichen der drei Ebenen überlegen.“ 

mittlere Ebene (c) Garnet Manecke