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Kolumbien
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Lebendige Kirche
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Bericht von Oliver Bühl

AGIAMONDO-Fachkraft bei der Partnerorganisation Concern Universal in Tolima, Kolumbien

Bericht Oliver Bühl (c) Oliver Bühl
Bericht Oliver Bühl
Datum:
Do. 16. Apr. 2020
Von:
Oliver Bühl

Seit dem 01.Juni 2018 bin ich als Fachkraft von Agiamondo (früher AGEH) und im Auftrag des Diözesanrates in Kolumbien tätig. Mein Dienstgeber vor Ort ist die Fundación Concern Universal Colombia.

Ich unterstütze Concern Universal in verschiedenen Projekten der Friedensarbeit vor allem im Süden des Departamento Tolima. Es sind Projekte mit dem Fokus auf Kinder, Jugendliche und Frauen aus den beiden indigenen Volksgruppen der Pijao und Nasa We’sx (sprich: Pihau und Nassa Wesch). Thematisch geht es um Kinder und Menschenrechte / Rechte Indigener, Selbstversorgung, Erhalt von Kultur und Sprache, Schutz des Territoriums, Ausbildung der Guardia Indigena und Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche, sowie Stärkung der Selbstverwaltung. 

Projekte, in denen ich mitgearbeitet habe

Im Jahr 2018 war es ein Projekt der Landesregierung mit ca. 1500 Kindern und Jugendlichen der Pijao aus 5 Kommunen (Ortega, Natagaima, Coyaima, Ataco, Rioblanco). Hierbei ging es um Identitätsbildung, Freizeitangebote, formale Bildung, Erhalt und Stärkung der indigenen Identität.

Im Jahr 2019 gab es ein Bildungsprojekt mit Kindern, Jugendlichen und Frauen der Nasa We’sx im Resguardo Gaitannia, Las Mercedes und dem Cabildo Barbacoas. Es waren 10 Projektstandorte an denen wir gearbeitet haben. es ging um die Einrichtung von gemeinschaftlichen Schulgärten, Stärkung der indigenen Identität und Stärkung der Rechte von Frauen und Kindern in den indigenen Gemeinschaften und auf kommunaler Ebene in den Kommunen Planadas/Gaitannia und Rioblanco Herrera. Dieses Projekt wurde finanziert durch den Fondo Multidonante der Vereinten Nationen. 

Anfang 2020 startete ein neues Projekt mit den Pijao mit rund 400 Kindern und Jugendlichen. Das Projekt ist auf 2 Jahre angelegt und bearbeitet 4 verschiedene Themen: Kinderrechte, Ökologie/ Umweltschutz, Prävention/Sexualaufklärung, sowie Stärkung der indigenen Identität. Dieses Projekt wird finanziert durch das Kindermissionswerk. 

Daneben bin ich Mitglied in der regionalen Friedens- und Versöhnungskommission, die ebenfalls regelmäßig Veranstaltungen durchführt, an deren Konzipierung und Durchführung ich beteiligt bin. 

Neben diesen Projekten realisiert Concern Universal eine Reihe von kleineren Projekten und Aufgaben vor allem auf dem Gelände von Concern Universal. Dabei geht es vor Allem um Dinge, für die sonst nie Zeit bleibt. Wir haben einen alten, brachliegenden Garten wieder mit einer Bewässerung versehen. Einige Maßnahmen zum Schutz vor Starkregenschäden durchgeführt (Kanalreinigung und Erweiterung, Bau einer neuen Brücke, Bau einer Regenwasserbarriere zum Schutz der Kindergartenräume uvm.) Im Mai 2019 stand die 72-Stunden-Aktion des BDKJ an. Bei dieser Aktion haben wir im Barrio (barrio: Nachbarschaft; Stadtteil) und mit Kindern sowie Jugendlichen eine ganze Reihe von Aktionen und Projekten begonnen bzw. durchgeführt. Eine neue Aussichtsplattform wurde gebaut. Mehrere Bienenstöcke wurden auf dem Gelände aufgestellt, 150 Bäume gepflanzt, einen Bach von Müll befreit und einiges mehr.

Im September findet immer die Woche des Friedens statt. In diesem Rahmen gab es im letzten Jahr mehrere Veranstaltungen von Concern und der Commission, bei denen ich beteiligt war. Eine tolle Veranstaltung ist ein gemeinsames Abendessen mit Frauen aus dem Barrio und den Mitarbeiterinnen aus den Kindergärten von Concern. Bei dieser Veranstaltung, „Rezepte für den Frieden“, werden gemeinsam mit allen Frauen 10 vegetarische und vegane Gerichte gekocht. Im letzten Jahr habe ich zusammen mit dem Freiwilligen Johannes Grimsel Rezepte vorgestellt und wir haben in vier Gruppen alle Rezepte zubereitet und nachher gemeinsam gegessen. Das hört sich total banal an, war aber für mich und alle Teilnehmerinnen eine tolle und lustige Erfahrung, die mehr zum interkulturellem Lernen beigetragen hat, als manch theoretisches Seminar.

Ein letztes großes Projekt mit spannenden Folgen und großen Erfolg, war die „Fototour“ und Ausstellung von „Momentaufnahmen aus dem Tolima“. Die Fotos finden sich nun auch in einer Dokumentation der Vereinten Nationen zu Friedensprojekten in Kolumbien.

Was bringt so ein AGIAMONDO-Einsatz? 

In den ersten Monaten ging es bei meinem Einsatz um das Kennenlernen und Zuhören, das Verstehen von Arbeitsabläufen und Strukturen, das weitere Erlernen der Sprache und vieles mehr. Gleichzeitig wurde ich aber auch von Anfang an in die Vorbereitung von Veranstaltungen und die Diskussion von Konzepten mit eingebunden. Jaime Bernal war es von Beginn an wichtig, meine Perspektive, Wahrnehmung von Problemen und meine Meinung zu inhaltlichen Fragestellungen zu hören und sie einfließen zu lassen. 

Ich denke, dass ich durch meinen Einsatz Perspektiven öffne und Diskussionen anrege, wo ich denke, dass unser Reden und unser Handeln aus meiner Perspektive nicht kohärent ist. Durch meinen europäischen Hintergrund bringe ich auch Perspektiven und Themen mit, die in Lateinamerika kaum in der Diskussion sind. Zum Beispiel das Thema Klimawandel und Fridays for Future sind im kolumbianischen Diskurs nur in den großen Städten präsent. Der globale Klimastreik im September letzten Jahres war in Ibagué eine Pflichtveranstaltung für alle Schulen und die FFF Kampagne ist in Teilen Kolumbiens unterwandert von der rechtskonservativen Partei Centro Democratico – also das komplette Gegenteil von der Situation in Deutschland und in Europa. Hier sind wir nun mit einigen Organisationen im Gespräch eine eigene Bewegung ins Leben zu rufen, die wirklichen Protest auf die Straße bringt. 

Meine Rolle in den indigenen Projekten ist sehr spannend. Hier halte ich mich sehr zurück, weil ich hier bis heute in erster Linie lerne. Die Indigenen bringen mir sehr viel Respekt, Anerkennung und Dankbarkeit entgegen. Sie kennen Europäer und Amerikaner eigentlich nur dadurch, dass sie kurz vorbeikommen, Fotos und Versprechungen machen und dann nie mehr gesehen werden. Ich bin meinerseits von Anfang an sehr klar gewesen. Ich bringe keine Geschenke mit, ich habe kein Geld und ich kann niemanden privat und direkt helfen. Das ist die Basis, auf der ich zu Ihnen komme und mit ihnen in Workshops arbeite, ihre Feste feiere und immer eine begrenzte Zeit mit Ihnen „lebe“. Aber ich diskutiere viel mit Ihnen „nebenher“. Wir sind dann immer schnell bei ihren Problemen mit dem Klimawandel, dass das Wasser nicht mehr reicht, dass Ihnen Land abgenommen wird, dass sie kaum noch Geld für ihren Kaffee oder Kakao bekommen, dass die Regierung sie im Stich lässt und dass die „jungen“ immer öfters die indigene Gemeinschaft verlassen. Ich kann vieles von dem, was sie erzählen, in Verbindung mit unserem Leben in Deutschland bringen, mit Handelsverträgen und unserem Konsumverhalten und so weiter und darin wird deutlich, wo gerade der Wert meiner Arbeit liegt. Diese direkte Erfahrung nach Deutschland transportieren, zum Beispiel durch die Fotoausstellung oder die Statements zur Dialogveranstaltung oder durch Berichte an Agiamondo und das BMZ. Und es wird noch mal deutlicher, das Partnerschaft Gesichter braucht. Ohne regelmäßige persönliche Kontakte ist eine Partnerschaft auch in Zeiten von Skype Whattsapp und Facebook nicht authentisch und möglich.

Derzeit bin ich wegen der Corona Situation in Deutschland. Als in Kolumbien klar wurde, dass auch dort alles zum Erliegen kommt, in Deutschland die Schulen und Kindergärten geschlossen werden und absehbar keine Flüge mehr nach Deutschland gehen, habe ich vor dreieinhalb Wochen entschieden, spontan das Land zu verlassen, bevor es nicht mehr geht. Und diese Entscheidung war richtig. In Kolumbien geht nichts mehr. Noch als ich da war, hat Concern die komplette Arbeit einstellen müssen – auf unabsehbare Zeit. Eine erste Prognose von Ostern geht davon aus, dass der totale Lock Down noch bis Ende Mai geht. In Ibagué sind Barrios mit Erdhaufen abgeriegelt, dass sich die Menschen nicht mehr frei bewegen können. Man darf nur an zwei Tagen in der Woche für drei Stunden das Haus verlassen um einkaufen zu gehen. Die Zeiten hängen von der letzten Ziffer des Personalausweises ab. Und die medizinische Situation in Kolumbien ist katastrophal, nachdem die Regierung im letzten Jahr jeweils 30 % im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich gekürzt hat. Die zwei größten Krankenhäuser in Ibagué sind geschlossen und die Zahl der Intensivbetten in der 600.000 Einwohner Stadt lässt sich an zwei Händen abzählen. 

 

Bericht Oliver Bühl

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