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Aufklären statt Töten auf Wunsch

Fachleute in Aachen: Gesetzliche Neuregelung ist eher überflüssig

12_Sterbehilfe (c) Kathrin Albrecht
12_Sterbehilfe
Datum:
Di. 17. März 2015
Von:
Kathrin Albrecht
Vor einem Jahr löste der Tod der unheilbar an Krebs erkrankten Brittany Maynard aus den USA eine Debatte über Sterbehilfe aus. Noch in diesem Jahr will der Bundestag die ärztlich assistierte Selbsttötung gesetzlich neu regeln. Aber ist das überhaupt nötig?

Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Diskussionsveranstaltung der Bischöflichen Akademie des Bistums Aachen. Die Aktualität und Brisanz dieser Frage spiegelte die hohe Teilnehmerzahl, vornehmlich Fachpersonal aus der Hospiz- und Palliativpflege, wider. Aus ärztlicher Sicht diskutierte Roman Rolke, Professor und Leiter der palliativmedizinischen Klinik an der Uniklinik der RWTH Aachen, die Frage. Ruth Rissing-van Saan, Honorarprofessorin an der Ruhr-Universität Bochum, legte die juristische Sicht zum Thema dar. Beide machten in ihren Ausführungen deutlich: Die aktuelle Diskussion geht am eigentlichen Thema vorbei, ein neues Gesetz ist im Prinzip überflüssig.

„Ihr könnt mir doch irgendetwas geben, dann ist es vorbei.“ – Sätze wie diesen hört Roman Rolke, wie er in seinem Vortrag berichtete, oft. Doch solche Sätze entspringen der Angst der Patienten, am Ende nicht mehr Herr ihrer Sinne zu sein oder unerträgliche Schmerzen erleiden zu müssen. Wie viel die Palliativmedizin und die Schmerztherapie in diesen Fällen leisten können, zeigte er eindrücklich an zwei Beispielen, in denen er Patienten bis zum Schluss begleitet hatte. Palliative Versorgung bedeute, den Menschen ganzheitlich im Blick zu haben, es reiche nicht aus, nur auf die Buchstaben des Gesetzestextes zu schauen.


Die Gesetzeslage ist das eine, das Standesrecht das andere

Im Hinblick auf die aktuelle Diskusssion um assistierte Selbsttötung wies Rolke auf mehrere Dilemmata hin, die sich für Ärzte derzeit ergäben. Strafrechtlich gesehen, ist die Beihilfe zur Selbsttötung nicht strafbar, denn ein Suizid selbst ist es ebenfalls nicht. Dem entgegen stehe jedoch das ärztliche Standesrecht, das den Tatbestand von Bundesland zu Bundesland  unterschiedlich bewerte.

Im Fall von Nordrhein-Westfalen, wo es zwei Landesärztekammern gibt, ist die rechtliche Situation noch komplizierter: Die Bestimmungen der Landesärztekammer Nordrhein besagen, dass ein Arzt dem Patienten auf dessen Verlangen hin nicht bei einer Selbsttötung helfen darf. Die Bestimmungen der Landesärztekammer Westfalen-Lippe hingegen formulieren eine Soll-Regelung.

Aus einem Zulassen der ärztlichen Beihilfe zum Suizid würden sich außerdem Fragen ergeben, die weitreichende Auswirkungen auf fast alle Bereiche der Medizin hätten. Wie würde beispielsweise die Geriatrie mit der Behandlung von an Demenz erkrankten Menschen umgehen, wenn diese im Frühstadium den Wunsch nach einem assisitierten Suizid äußerten? Es bedürfe anderer Überlegungen, mahnte Rolke, und wies darauf hin, dass das Eckpunktepapier des Bundesgesundheitsministeriums in die richtige Richtung weise. Dort ist unter anderem eine flächendeckender Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung und eine Förderung der Vernetzung alller beteiligten Akteure vorgesehen. Für Hospize ist außerdem eine spürbare Entlastung bei der Finanzierung vorgesehen. Der Ausbau einer palliativen Versorgung, vor allem auch in ländlichen Regionen, sei teuer, daher träten vor allem Krankenkassen auf die Bremse, räumte Rolke ein.

Für Ärzte sei die palliative Sedierung ein Ausweg aus dem Dilemma der Frage, wie dem sterbenden Patienten die letzten Schritte am Lebensende erleichtert werden könnten. Dabei werden dem Patienten Schmerzmittel verabreicht, die zwar hoch genug sind, um Beschwerden wie Schmerzen oder Atemnot zu lindern, nicht aber in jedem Fall zu einer Bewusstseinstrübung führen. Es sei eine Maßnahme mit ethischer Dimension, wie Rolke betonte. „Es ist klar, dass sie am Lebensende stattfindet, dass es keine andere Möglichkeit der Hilfe gibt und dass alles in Absprache mit einem anderen Arzt, dem Pflegepersonal und den Angehörigen geschieht.“ Ruth Rissing-van Saan, die in ihrem Vortrag die rechtlichen Grauzonen der Frage beleuchtete, bestätigte die Ausführungen Rolkes. „Kranke Menschen fahren zum Suizid in die Schweiz, weil sie oft gar nicht wissen, welche Möglichkeiten die Palliativversorgung in Deutschland bietet.“

Hier sei Aufklärungsarbeit vonnöten. Besonders wies sie auf den Unterschied zwischen Behandlungsabbruch und assistiertem Suizid hin: „Das deutsche Recht kennt keine Zwangsbehandlung.“ Der Behandlungsabbruch geschehe oft im Einvernehmen mit dem Patienten und den Angehörigen. Eine Weiterbehandlung gegen den Willen des Patienten verstoße gegen geltendes Recht, der behandelnde Arzt mache sich dann sogar strafbar.
Mit Blick auf die aktuellen Eingaben, die zur diskutierten Gesetzesänderung vorliegen, fasste Rissing-van Saan zusammen, dass sie einen bunten Strauß an Möglichkeiten böten, die zum Teil neue Fragen aufwerfen. „Die bestehende Gesetzeslage ist eigentlich ganz komfortabel“, stellte sie abschließend fest.

 

Zitiert

"Ein selbstbestimmtes Ende ist fast immer möglich, auch ohne Beihilfe zum Suizid."
Roman Rolke, Palliativmediziner